– Helene und Franz • eine Zeitreise

Helene und Franz: 1923 bis 1932

Lange konnte Franz aber nicht allein bleiben, denn seine Tochter Lotte hatte Aussicht im Neulandbund in Eisenach einzutreten und dort eine Stellung als Sekretärin anzunehmen, was allerdings erst 2 Jahre später erfolgte. Und so besuchte er auf Anraten eines Kollegen dessen Wirtin in der Hälterstraße, die ebenfalls Witwe war. Er ging also an einem Nachmittag in der Hälterstraße vorbei und traf die Frau Henkel beim Aufräumen des Hofes und frug sie, ob sie ein Zimmer zu vermieten hätte. Als er sich vorstellte, erwiderte sie, er hätte doch mehr Zimmer zu vermieten als sie und lud ihn ein heraufzugehen, denn inzwischen war ihr Schwiegersohn, Hartung, der ebenfalls bei Blancke im Kontor beschäftigt war, gekommen.

Helene und Franz in Wormstedt
Helene und Franz in Wormstedt

Jedenfalls lud Franz sie ein, mit ihm einen Ausflug in die Umgebung zu machen und sie einigten sich, am nächsten Sonntag nach Freyburg an der Unstrut zu fahren. Mit der Sonntagskarte fuhren sie dann auch nach Naumburg, um von dort zu Fuß den Weg nach Freyburg über die Berge links der Unstrut zu nehmen. Im Walde wurde ausgeruht und dann ging es abwärts nach Freyburg, wo sie zuerst das Jahnhaus besichtigten und in der Nähe zu Mittag aßen, um anschließend in der Champagnerfabrik von Kloß und Förster eine Flasche Landwein zu trinken. Ziemlich fidel ging es dann zum Bahnhof, um mit dem nächsten Zug nach Naumburg zu fahren, wo leider der letzte Zug nach Halle bereits abgefahren war, sodass sie in Naumburg übernachten mussten und in einem Hotel Unterkunft fanden. Um mit dem ersten Zug am Montag mitzukommen, mussten sie vor 5 Uhr aufstehen. Da das Hotel noch geschlossen war, bezahlt hatte er das Zimmer und das Abendbrot schon am Abend vorher, musste er das schwere Tor von innen selbst öffnen, um auf die Straße zu kommen, wo auch zufällig schon Bekannte aus der Firma Blancke vorbeigingen, die ebenfalls zur Bahn wollten. Sie erreichten aber noch den Zug, sodass er am Montag früh gegen 6 Uhr wieder im Büro war, wo er durch den Sohn Martin schon ein Schreiben der Frau Henkel bekam mit dem Inhalt, dass sie weiter zusammen kommen wollten.

Franz war also wieder “gefesselt”. Die meisten Abende war er von nun an in der Hälterstraße bei der Familie Helene Henkel, die außer ihrer Tochter Martel noch ihre 3 Söhne Rudolf, Martin und Heinz bei sich hatte. Die ältere Tochter Annemarie war verheiratet mit dem schon erwähnten Gustav Hartung und wohnte unten im Erdgeschoss mit ihren 2 Kindern.

Im Juli oder August des gleichen Jahres nahm er sich vor, mit Frau Henkel während der Ferien nach Ober-Schönau zu fahren und die Ferien dort zu verleben, wo er im Jahre 1914 kurz vor dem Weltkrieg mit Elsa und den Kindern so schnell abgefahren war. Sie fuhren also von Merseburg über Erfurt nach Oberhof, von dort aus ging es vom Bahnhof durch den Wald zum Ort und weiter durch das schöne Tal, „Kanzlergrund“ genannt, nach dem 8 km entfernten Ober-Schönau. Er meldete sich gleich bei Frau Neuß, wo er bereits 1914 gewohnt hatte, und bekam auch das gleiche Zimmer wie damals. Sie blieben 14 Tage dort und haben im Walde und auf der „hohen Most“ schöne Ausflüge unternommen. Frau Henkel hatte auch hier Gelegenheit nach dem Mittagessen im Gasthof, mit anderen Sommergästen eine Partie Skat zu spielen. Den Automatenbetrieb hatte Frau Neuß scheinbar aufgegeben, denn die Maschinen hat er nicht mehr gesehen.  Wahrscheinlich sind sie auf der Rückfahrt in Apolda ausgestiegen, um Wormstedt und den Bruder sowie den Vater zu besuchen.

Am 9. Dezember 1923 am Vortag seines Geburtstages feierten sie in der Wohnung der Frau Henkel, die 11 Monate jünger war als Franz, Verlobung im Beisein beider Familien und im Beisein von Lotte und Alice. Sogar der Großvater Oskar aus Wormstedt war extra nach Merseburg gekommen, um der Feier beizuwohnen.

Die Eltern von Helene geb. von der Gönne

Er war Franz bekannt, denn er war mit Frau Henkel schon in Wormstedt gewesen und hatte mit dem Vater und der Mutter in ihrem Gasthof zur Erholung schon Bekanntschaft gemacht, auch mit dem Bruder Arthur in Apolda und mit dem Bruder Adolf, der in Jena eine Fleischerei betrieb, verkehrte er freundschaftlich. Öfter fuhren sie nach Apolda zu Arthur, der eine Gastwirtschaft „zur Lyra“ in der Altenburger Straße hatte, und haben dort feuchtfröhliche Abende verlebt. In Jena, wo sie das Haeckelmuseum besuchten, haben sie auf der Gastwirtschaft am Fuchsturm Würstchen und Brötchen warm machen lassen und bei einem Glas Bier oder Lichtenhäuser sich nach der Wanderung gut erholt. Auch der Bruder Oswin in Kößnitz 3 km südlich von Wormstedt hatte dort eine Wirtschaft, die sie öfter besucht haben. Ferner waren sie von Merseburg aus öfters in Bischdorf bei Milzau beim Bruder Otto, der dort als Dorfschullehrer angestellt war.

In Wormstedt waren sie jedes Jahr 2 bis 3 Mal und in den Jahren 1924 bis 1933 jedes Jahr zur Kirmes, wo es hoch herging im Saal der Schenke und bei schönem Wetter in dem großen Zelt auf dem Platz vor der Schenke.

Gasthof in Wormstedt
Der von der Gönnesche Gasthof in Wormstedt

Auch mit den Schwestern der Frau Henkel Frau Martha Schmidt und besonders mit ihrem Mann, dem Bauern Adolf Schmidt, hat Franz sich sehr gut befreundet. Da Frau Henkel gern Skat spielte, wurde an solchen Tagen in der Schenke auch öfters eine Partie Skat gespielt, woran er sich anfangs mit ihrem Bruder Herrmann und ihrem Schwager Otto Hüttenrauch und Adolf Schmidt auch beteiligt hat.

Auch in Merseburg hatten sie in Verbindung mit Herrn Lüsche, der inzwischen kaufmännischer Geschäftsführer der Firma geworden war, und Herrn Rösel, ein Däne, mit dem Franz immer gut ausgekommen ist, in der Villa des ersteren und abwechselnd bei sich zu Hause alle Wochen einen Skatabend arrangiert, der regelmäßig bis zum Jahre 1925 durchgeführt wurde.

Herr Voigtländer von der Pittler AG engagierte Franz zum 1. September 1925 ohne weiteres mit demselben Gehalt von RM 5000 wie bei der Firma Blancke. Wegen der Wohnung sollte er vorläufig in Merseburg wohnen bleiben und, bis er in Leipzig eine Wohnung fände, mit der Bahn täglich hin- und herfahren. Er fuhr also, wie er gekommen war, mit dem Rade nach Merseburg zurück und kündigte seine Stellung. Vorher nahm er jedoch noch seine Ferien und fuhr zuerst mit Frau Henkel nach Dresden, um Dresden und die sächsische Schweiz zu besichtigen. In Dresden kam es zu Meinungsverschiedenheiten, sodass sie im großen Garten sehr unzufrieden miteinander waren. Trotzdem fuhren sie mit dem Elbdampfer die Elbe hinauf bis Rathen, wo sie in Nieder-Rathen in einem Gasthof Unterkunft suchten, um am anderen Tag die Bastei zu besuchen. Nachdem sie die Anlage besichtigt hatten, ging es zurück mit dem Dampfer nach Dresden und dann nach Leipzig bzw. Merseburg.

Das Haus in der Schützenstraße musste dem Messehochhaus weichen

Von der Möbeltransportgesellschaft Meyer in Merseburg erhielt Franz Anfang 1926 die Nachricht, dass er seine Wohnung in der Weißenfelser Straße Nr. 11 mit einer Wohnung in Leipzig, Schützenstraße Nr. 17 III Treppen, tauschen könnte. Er sah sich die Wohnung in Leipzig an, sie gefiel ihm nicht gerade, weil sie 3 Treppen hoch war, keinen besonders schönen Aufgang hatte und viel kleiner als seine Merseburger Wohnung war. Herrn B., der gern nach Merseburg ziehen wollte, gefiel seine Wohnung dagegen sehr gut und war gern bereit zu tauschen. Zum Schluss ließ er sich verleiten, die Wohnung zu nehmen, da er nun schon 5 Monate von Merseburg nach Leipzig-Wahren fahren musste und es nicht leicht war, eine bessere Wohnung in Leipzig zu erhalten.

Da er gern mit dem Rade fuhr und der Weg nach Wahren auch durch das Rosenthal genommen werden konnte, sprach er darüber mit Herrn Direktor Berger, der sich im Namen der Direktion damit einverstanden erklärte, ihm die Umzugskosten, wie überhaupt bereits ausgemacht, zu vergüten. Er nahm also den Tausch an und der Umzug erfolgte am 6. Mai 1926 durch die Möbeltransportgesellschaft Meyer mit dem Automobilwagen und einem Anhänger. Das Ein- und Ausladen erfolgte unter Lottes und seiner Aufsicht und ging ganz ohne Unfall vonstatten. Von nun an wohnte er in Leipzig und fuhr täglich mit dem Rade von der Schützenstraße am Bahnhof vorbei bei schönem Wetter durch das Rosenthal am Scherbelberg vorbei den Marienweg entlang nach Möckern und von hier durch die Hallesche oder Fuchs-Nordhoff-Straße zur Fabrik. Es waren 6 bis 7 km, die er in 30 Minuten durchfuhr. Bei schönem Wetter fuhr er öfters durchs Rosenthal weiter über das Schützenhaus/den Schützenhof den Radfahrweg, der durch die Göttge, am Wilden Mann vorbei und am Leutzscher Bahnhof durch die Burgaue und die Rittergutsstraße nach Wahren führt. Die Fahrt dauerte 5 bis 10 Minuten länger, er hatte aber dann nur den Wald zu durchfahren. Nur bei schlechtem Wetter fuhr er vom Bahnhof ab durch die Bahnhofstraße, die Eutritzscher und die Hallesche Straße direkt nach Wahren, wobei er sich im Winter bei rutschiger oder vereister Straße sehr vorsehen musste, um nicht auszurutschen, denn es ist ihm im Winter in der Eutritzscher Straße passiert, dass er auf den Schienen der Straßenbahn und durch das Kopfpflaster ausgerutscht ist, glücklicherweise ohne Schaden genommen zu haben, denn er legte sich nur quer zu den Gleisen. Es war nur schlecht, weil es im Winter früh morgens noch ziemlich dunkel war und die Lampe noch brennen musste.

In der Schützenstraße besuchte sie sehr oft sein Freund Richard Wummer, „Volt“ genannt, den auch Helene in Merseburg bei ihrer Verlobung kennengelernt hatte, da er sich damals nicht entschließen konnte, nach Leipzig zurückzufahren. Er blieb wohl 3 Tage bei ihnen. Er war bei seinem Bruder stellungslos geworden und besuchte sie alle Tage in der Schützenstraße.

Da kam es auch, dass sie zusammen versuchten, spiritistische Sitzungen zu halten, um zu sehen, ob etwas Wahres dran sei. Und wirklich die Geister meldeten sich auf ihre Anfrage. Da er nach einigen Wochen nach solchen Proben schlecht schlafen konnte, unterließ er es bald, sich weiter damit zu beschäftigen. Die Sache ging auch nur auf einem Tisch ohne eiserne Nägel. Die Freundin von Volt, Frau Burchmann, war meistens auch dabei, die er schon von einem Ausflug der TVL nach Jena kannte, wo er von Merseburg aus im Jahre 1925 hingefahren war. Sie gingen später auch sehr oft zusammen aus, z.B. in den Ratskeller, wo sie auch mit Hermann Just und Frau und anderen Bekannten zusammen kamen. Auch im Winzerkeller am Brühl waren sie öfters, als Helene später nach Leipzig zu ihm gezogen war.

Da seine Schwester Louise im Jahre 1926 im Monat September mit León ihren 25. Hochzeitstag feiern wollte und sie dazu eingeladen hatten, fuhren sie zusammen, Helene und Franz, während seiner Ferien nach Brüssel.

Im nächsten Jahr 1927 kam Franz mit seinem Freund Richard Wommer überein, mit Helene und Frau Burchmann, den Extrazug nach München zu benutzen, und eine Tour nach Tirol zu machen.  Er kaufte sich sofort in einer Buchhandlung in der Burgstraße einen Führer von Baedecker durch Tirol, um sich zu orientieren, zum Preise von RM 10, da sie ausgemacht hatten, nach Mayerhofen im Zillertal  zu fahren und eventuell bis zum Brenner-Sattel vorzustoßen. Aus dem Ort Finkenberg, der hinter Mayerhofen liegt, ließ er sich auch Prospekte kommen, weil sie dort eventuell länger bleiben wollten. Mit Rucksäcken und Bergstöcken ausgerüstet, fuhren sie dann vom Hauptbahnhof mit dem Münchner Extrazug ab und kamen über Hof, Regensburg am anderen Morgen gegen 8 Uhr in München an, wo sie sich sofort in Zimmer suchten, um sich zu erfrischen, und Frau Burchmann, „Volte“ genannt, als Freundin von seinem Freund „Volt“, sich umziehen konnte. Volte hatte sich für die Tour ins Gebirge ein Paar Breecheshosen (Kniehosen) mitgenommen, die sie nun anziehen wollte, um als Tourist herumzulaufen. In der Goethestraße, nicht weit vom Hauptbahnhof, hatten sie zwei schöne Zimmer gefunden, von wo aus sie sich auf die Beine machten, um die Stadt zu besichtigen. Sie gingen zuerst im Matthäuser Kaffee trinken und dann ging es weiter durch die Hauptstraße der Stadt zum Marienplatz, wo sie die Uhr mit den beweglichen Figuren am Rathaus bewunderten. Ihnen fiel auf, dass die Menschen, Männer wie Frauen, der Volta die mit Volt vor ihnen ging, immer nachguckten und abfällige Bemerkungen machten, wie z.B. So Gans in Hosen, verrückte Frau usw. Am Ende des Marktes angekommen, stand ein Polizeioffizier, der Volt anhielt und zu ihm sagte: Meine Herrschaften, ich möchte sie darauf aufmerksam machen, dass es in München nicht Usus ist, dass Damen in Hosen herumgehen und ich rate ihnen, um Unannehmlichkeiten zu vermeiden, dass die Dame sich umzieht. Volt dankte bestens für den Hinweis und sie gingen weiter zum Hofbräuhaus, wo sie sich das Hofbraubier schmecken ließen bei ein paar Würstchen. Dann gingen sie durch die Maximilianstraße und den Hofgarten zurück zum Hospizhotel, damit Volta sich schnell ein Röckchen, das auch ziemlich kurz war, anziehen konnte, denn die abfälligen Bemerkungen der Vorbeigehenden wurden immer deutlicher. Franz und Helene gingen hinterher und konnten das Lachen kaum zurückhalten über die verschiedenen Bemerkungen der Münchener. Besonders die Frauen machten die ärgsten Bemerkungen. Nachdem sich Volta nun umgezogen hatte, gingen sie zum Mittagessen, um dann die weiteren Besichtigungen der Stadt vorzunehmen. Die Besichtigung der Museen schoben sie auf bis später auf der Rückfahrt. Am anderen Morgen ging es dann zum Starnberger Bahnhof, der gleich neben dem Hauptbahnhof lag, um die Fahrt nach Starnberg und Kochel zu machen. Leider stellte sich heraus, dass Volt, ob durch das Bier oder sonst etwas, während der Nacht die Diarrhoe (Durchfall) bekommen hatte, sodass Volta noch vorher die Bettlaken zu reinigen hatte und sehr missgestimmt war. Sie fuhren also mit dem Zug nach Kochel ab. Zuerst kam Starnberg an der Nordspitze des Starnberger Sees, dann ging es an der Westseite des Starnberger Sees entlang, wobei sie den See und die oberbayerischen Berge bewundern konnten. Hinter Tutzing fuhr die Bahn nach Südosten in Richtung Bichl und von dort südlich nach Kochel die Endstation der Bahn. Es ging dann zu Fuß mit dem Rucksack auf dem Rücken durch Kochel hindurch, den Kochelsee rechts lassend, die steile Straße nach dem Walchensee hinauf. Unterwegs fing es gleich an zu regnen, sodass sie Schutz suchen mussten in einem links der Straße befindlichem Berghaus. Sie klopften zuerst ans Fenster, wo, nachdem Volt gefragt hatte, ob sie Kaffee gekocht hätten, sie freundlich eingeladen wurden, eine Tasse mit zu trinken. Beim Vorstellen stellte sich heraus, das die Familie aus Zeitz und nach dem Weltkriege nach Bayern gezogen war. Brötchen und Butter hatten sie mit und so tranken sie gemeinsam mit der Frau eine Kanne Kaffee. Inzwischen war der Regen vorübergegangen und sie konnten, nachdem ihre Sachen am Ofen trocken geworden waren, bald weiter wandern. Sie erreichten bald den Kamm des Gebirges und dann ging es wieder hinab am Walchensee Werk vorbei nach Urfeld, dem Ort, der am nördlichsten Ufer des Walchensees liegt, der See der nach dem Achensee der schönste See der bayerischen Alpen ist. In Urfeld waren für die Nacht schon alle Zimmer besetzt und so gingen sie am linken Ufer des Walchensees auf der schönen Straße weiter nach Walchensee, wo im Hotel noch Zimmer frei waren. Im Restaurant spielten gerade 3 Männer Skat und auf eine Anfrage von Helene konnte sie gleich mitspielen, was ihnen viel Spaß bereitete. Bevor es ganz finster war, suchten sie ihre Zimmer auf und legten sich zeitig ins Bett, da sie durch den Marsch von Kochel nach Walchensee von ca. 11 km durch die Steigung und den Regen ziemlich müde geworden waren. Am nächsten Tag ging es gegen 7 Uhr weiter zuerst nach Urfeld zurück und dann Sachsenbuch und dann weiter bis Niedernach am südöstlichen Ufer gelegen, vielleicht 12 km von Walchensee entfernt auf dem Weg um den See. Hier fanden sie sie ein einfaches Gutshaus mit Holztischen und Holzbänken am Ufer des Jachens mit Aussicht in das schöne Jachental und auf die schönen Alpenberge besonders auf die Isarberge und das Karwendelgebirge. Besonders der 2100 Meter Schufrenter mit der Tölzer Hütte und die 2538 Meter hohe östliche Karwendelspitze waren deutlich zu sehen. Nachdem Volta im nächsten Freibad gebadet hatte und sie gut gefrühstückt hatten, gingen sie weiter, den Walchensee hinter sich lassend, um zuerst auf einen Zickzackweg die Isarberge links vom 1303 Meter hohen Hochkopf zu überwinden. Es war die erste Krakselpartie seit ihrem Fortgang von München, wobei sie den Bergstock gut gebrauchen konnten. Oben kamen sie auf das Plateau, das ziemlich eben und mit Wiesen bedeckt war. Nach ca. einer ½ Stunde ging es dann ebenfalls auf einem Zickzackweg steil hinunter, wobei sie an mehreren Stellen vorbeikamen mit Plakaten oder Tafeln, woraus hervorging, dass an der betreffenden Stelle Touristen oder Landgenossen durch Absturz den Tod gefunden hatten mit biblischen Sprüchen zum Troste. Unten angekommen, waren sie am nördlichen Ufer der Isar, derselbe Fluss. Gegenüber am anderen Ufer waren sie in Vorderriß mit Gutshaus, Jagdschloss und Forsthaus an der Einmündung des Riß in die Isar. Von hier aus ging eine gute Fahrstraße weiter nach Süden nach Tirol hinein. Nach ca. 7 km kamen sie zur Grenze zwischen Bayern und Tirol, wo sich sofort ein Zollbeamter zeigte, der nach ihren Papieren fragte. Franz hatte seinen holländischen Pass und die Sache war nach Bezahlung von 2 RM für ihn erledigt. Bei Volt war die Sache schwieriger. Der arme Kerl konnte die 2 RM nicht bezahlen. Franz war aber bereit, die 2 Reichsmark auszulegen, damit sie gleich weiter gehen konnten. Nach weiteren 2 km kamen sie nach Hinter-Riss, wo sie im Gasthof einkehrten, und da es angefangen hatte zu regnen, hier zur Nacht bleiben mussten. Weit konnten sie hier nicht gehen, denn der Regen wurde immer stärker. Es regnete auch noch am anderen Tag, sodass sie ihre Wanderung erst am übernächsten Tag durch das obere Rißtal  fortsetzen konnten. Der Weg war noch ziemlich feucht, aber je weiter sie in das schöne Rißtal kamen, wurde der Weg trockener und nach weiteren 10 km kamen sie zur Hagelhütte. Die Hütte war mehr ein Heuboden und der neugierige Volt kletterte die angelegte Stiege hinauf mit seinem blauen Mantel über Rücken und Rucksack gelegt. Er blieb aber nicht lange oben, denn sie wollten weiter über die nahe Plumsalm und weiter über das Plumsjoch die Wasserscheide zwischen den Flüssen nach der Isar und dem Inn. Der Weg war ziemlich steil und steinig und über das Plumsjoch ging es wieder bergab. Hier passierte es, dass Franz beim Pflücken von Beeren einen Abhang abrutschte und sich an hervorstehenden Wurzeln anhalten musste, um nicht in einen tiefen Abhang zu fallen.

Glücklicherweise hatte es Volt bemerkt und legte sich auf den Bauch und reichte ihm seinen Krückstock, den er fassen konnte, und er mit der Volta und Helene  ihn wieder hochziehen konnte, sonst wäre er 20 bis 25 Meter tiefer in die weiche Erde gefallen.

Nun ging es lustig weiter durch das Gerntal nach Pertisau am Achensee, wo gerade ein Dampfer bereitstand, der nach Seespitz an der südlichen Spitze des Achensees abfuhr. Denselben konnten sie noch benützen und kamen noch vor 6 Uhr abends nach Seespitz, wo sie auch Nachtquartier fanden und vor dem Schlafengehen ein gutes Abendbrot einnehmen konnten und die wunderbare Landschaft des 9 km langen und über 1 km breiten Achensee bewundern konnten, der der schönste und größte See Nordtirols ist mit seiner tiefblauen Farbe und von tannenbestandenen hohen Bergen umgeben. Nicht weit hinter Seespitz war das Entnehmungswerk für das Wasser des Achensees errichtet. Von hier wird das Seewasser durch einen 4 km langen Stollen bis zum Weihnachsegg geleitet, gelangt durch einen Druckschacht zu dem 400 Meter tiefer gelegenen Krafthaus in Jenbach und von hier durch einen offenen Kanal weiter in den Inn.

Am anderen Tag ging es dann weiter bei trübem Wetter hinab nach Jenbach und zwar zu Fuß, weil die Zahnradbahn noch nicht in Betrieb war. In Jenbach bestiegen sie die Kleinbahn durch das Zillertal und fuhren an Zell vorbei bis zur Endstation Mayrhofen. Dort kamen sie zuerst auf dem Friedhof zum Stehen, wo mehrere Menschen versammelt waren, um einem Begräbnis beizuwohnen. Es handelte sich um zwei Wiener Touristen, Studenten, die von den Bergen abgestürzt waren und nun begraben wurden. Alle nahmen den Hut vom Kopfe während der Rede vom Pastor, ausgenommen Volt, den Franz erst darauf aufmerksam machen musste auch den Hut abzunehmen. Helene ist bei der Trauerfeier schlecht geworden und sie wollte sich sofort hinlegen. Sie gingen aber weiter durch den Ort, um ein Zimmer zu suchen. Volt und Volta fanden auch bald eine Unterkunft, während Franz und Helene bis zum Ende des Ortes gehen mussten, um in einem kleinen Haus ein Zimmer zu finden, das nur frei war, weil die Vermieter verreist waren. Im ganzen Ort war kein weiteres Zimmer zu finden. Helene musste sich gleich hinlegen und irgendeinen Kräutertrank einnehmen, der von der Wirtin hergestellt wurde, wonach es ihr doch etwas besser ging. Während er in den Gasthof ging, um Volt und Volta zu treffen, blieb Helene zu Hause, um sich von dem Schreck zu erholen. Am anderen Tag hatte Helene die Lust verloren, länger zu bleiben und wollte gleich zurück fahren. Vorher musste Franz aber Volt etwas Geld geben, weil er keinen Pfennig mehr hatte. Er erwartete Geld aus Leipzig von seinem Bruder und das Geld war noch nicht angekommen. Er borgte ihm 50 Mark und fuhr mit Helene allein zurück nach Jenbach und von hier mit der Hauptbahn nach Innsbruck, wo sie glücklich bei trockenem Wetter ankamen. Sie gingen sofort die Maria-Theresien-Straße hinunter nach der Innsbruck, um in Otting ein Zimmer zu suchen. Ich trat in ein Gasthaus gleich an der zweiten Brücke ein, wo ein Zimmer frei war, das er sich  zeigen ließ. Es lag in der ersten Etage und war vollkommen leer. Es roch nach Fliet und war eben desinfiziert worden, sodass er sofort absagte und mit Helene weiterging. Sie hatte eben einen Lehrer getroffen, der ein schönes Zimmer zu vermieten hatte gleich ein Stück weiter hinter dem Friedhof. Sie fanden auch das Haus und ließen sich von der Frau das Zimmer zeigen, das sehr groß war mit 2 schönen weichen Betten, sodass sie dasselbe gleich nahmen. Dann ging es wieder zur Stadt zurück, wo sie zu Abend aßen, um dann zurück nach ihrem Zimmer zu gehen. Es war finster geworden und der Weg am Friedhof entlang war nicht freundlich, sondern man dachte im Vorbeigehen an die Toten, die da unter der Erde lagen. Helene wollte sogar umkehren. Am andern Tag waren sie am Vormittag mit der Seilbahn auf dem Hungerberg gestiegen, um die schöne Aussicht über das Inntal zu genießen und am Nachmittag im Hofgarten zum Konzert, das sehr schön war. Das Bier war auch gut. Am Abend waren sie in einem Kino oder Varieté, wo Franz spät abends beim Treppen absteigen mit seinen Nagelschuhen auf den glatten Steinplatten ausgerutscht ist und mit Gewalt auf das Gesäß gefallen bin. Die beistehenden Leute haben ihm gleich beim Aufstehen geholfen. Er trug glücklicherweise keinen Schaden davon, trotzdem es ihn sehr geschmerzt hat. Am Friedhof mussten sie wieder vorbei und er hatte seine Not, Helene wieder einmal zu beruhigen. Am nächsten Tag fuhren sie von Innsbruck wieder ab mit dem Zug nach Mittenwald-Partenkirchen. Es war eine schöne romantische Strecke bergauf nach Mittenwald über Scharnitz und dann um die Zugspitze herum nach Garmisch. Nach kurzem Aufenthalt ging es weiter nach Bayern hinein, wo sie bei Tutzing den Starnberger See und zuletzt München erreichten. Hier besuchten sie wieder die Stadt und ganz besonders das Deutsche Museum mit seinen verschiedenen Abteilungen. Es war nur schade, dass die astronomische Abteilung an dem Tage gerade geschlossen war. Er hätte die Abteilung gern besichtigt. Auch das Nationalmuseum war nicht zu besichtigen, sodass sie sich entschlossen, am gleichen Tage noch nach Hause zu fahren. Sie fuhren also über Nürnberg, Probstzella, Jena zurück, sodass Helene in Korbetha nach Merseburg und Franz  nach Leipzig durchfahren konnten. Volt hat dann in Mayrhofen das Geld noch erhalten. Die geborgten 50 Mark hat er Franz in Gestalt von Generalstabskarten des Landes Sachsen und anderen Sachen zurückgegeben. Es war eine schöne Reise durch Bayern und Tirol und Helene hat lange davon geschwärmt und wollte immer wieder einmal hin. Jedenfalls ist ihr die Reise abgesehen von dem Unfall in Mayrhofen besser bekommen als die späteren Reisen nach Bremen und Hamburg an der Nordsee.

 Nach der abgebrochenen Radtour nach Paris kam Franz nach Leipzig zurück, fuhr er gleich nach Hause zur Überraschung von Helene, die mit einer so schnellen Rückkehr nicht gerechnet hatte. Um die Oster-Feiertage auszunutzen, fuhren sie mit der Eisenbahn auf Sonntagskarte nach Dresden und Rathen, wo sie in Dresden die Stadt und den großen Garten besuchten und mit dem Dampfer nach Rathen fuhren, um die Bastei zu besuchen. Leider traten Meinungsdifferenzen zwischen ihnen im großen Garten zu Dresden auf, sodass durch den Streit die ganze Stimmung verdorben wurde, und Frau Henkel bald nach Leipzig zurückkehren wollte. Trotzdem einigten sie sich wieder und fuhren mit einem Dampfer der Sächsisch-Böhmischen Dampfschifffahrt AG nach Rathen, wo sie in einem Hotel ein Zimmer genommen haben, um am nächsten Tag den Bastei-Felsen zu besuchen, von wo aus sie auch den Königsstein, der 246 Meter über der Elbe als alte Festung sich erhebt, bewundern konnten. Dann ging es wieder hinunter nach dem Kurort Rathen, um mit dem Dampfer nach Dresden und mit der Bahn nach Leipzig zurück zu fahren.

Es war wohl im August 1928, als der Schwager von Franz, Emil Mester aus Bremen, sie in der Schützenstraße besuchte zur Leipziger Herbstmesse. Während der 5 oder 6 Tage seines Besuches hat er ihm Leipzig gezeigt von der Höhe des Rathausturmes, ferner waren sie am Völkerschlachtdenkmal und abends ein paar Mal im Restaurant „Riebeck Bräu“ in der Hainstraße und mit Frau Henkel im Künstlervarieté im Panorama, wobei sie im Riebeckbräu die Bekanntschaft zweier Damen machten während des Konzertes. Er hat wohl in Leipzig einige Weinlieferanten besucht und ist dann nach Hause zurück gefahren, ohne zu vergessen, sie nach Bremen einzuladen, welche Einladung er dann später im Frühjahr 1930 mit Frau Henkel gefolgt ist, da Lotte inzwischen im Monat Mai nach Eisenach im Neulandhaus engagiert wurde. Zusammen mit Alice fuhren sie auch, da der Schwager als Weinhändler Obstweine in Grambke verkaufte, an einem Sonntage mit Sonntagskarte nach Böhlen vom Bayerischen Bahnhof aus, um dann von hier zu Fuß nach Rötha zu gehen, um die Obstweinschänke zu besuchen. Franz war schon früher in den Jahren 1896 und folgenden öfters dort mit seiner ersten Frau Elsa und den Kindern und auch mit der Technischen Vereinigung zum Obstweintrinken, wobei man die tollsten Auslassungen der betrunkenen Menschen beobachten konnte. Nachdem Emil sich mit den Besitzern der Obstweinschänke geschäftlich besprochen hatte, fuhren sie von Böhlen nach Hause zurück, denn damals war die Eisenbahnstrecke von Böhlen nach Rötha und Espenhain noch nicht fertig gebaut.

Im Monat September des Jahres 1928 kam sein Sohn Herbert

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auf Urlaub nach Leipzig, um sich mit Fräulein Hilde Ronneberger zu verheiraten. Hilde war eine Freundin von seiner Tochter Lotte und er hatte sie wohl bei ihnen kennengelernt.

Herbert und Hilde mit Reinhard
Herbert und Hilde mit Reinhard

Die Hochzeit wurde bei den Stiefeltern der Braut in Leipzig-Lindenau Aurelienstraße am Karl-Heine-Platz in Familie gefeiert. Der Stiefvater, Herr Burchhardt, hatte dazu die Hochzeitszeitung entworfen. In die Kosten haben sie sich geteilt. Herr Burchhardt war ein tüchtiger Modelleur und hat auch eine Gemme mit seinem Kopf in eine braune Masse geschnitten, die aber leider später durch den Luftangriff mit vernichtet worden ist. Die Hochzeit ist auch sehr harmonisch verlaufen unter Singen von fröhlichen Liedern, die von den Freundinnen Lotte und Hilde verfasst worden waren. Nach der Hochzeitsfeier zu Hause, die früh in der Philipp-Kirche im Beisein der Familie geschlossen worden war, sind die Neuvermählten wohl nach Benrath bei Düsseldorf gefahren, wo sie bis zum Jahre 1931 gewohnt haben, um von dort nach Hilden zu ziehen, um in Besitz eines Gartens zu kommen und den Lebensunterhalt zu erleichtern.

Im Jahre 1929 nahm Lotte die Stellung als Sekretärin im Neulandhaus in Eisenach an, wo sie auch bald die Leitung des ganzen Betriebs übernahm, d.h. das Vermieten der Zimmer an die Gäste des Hauses und die Leitung der Küche usw., worin sie sich ganz gut eingefunden hat und bis 1946 noch leitete.

In der Zeit zog Frau Henkel von Merseburg nach Leipzig zu Franz in die Schützenstraße Nr. 17 und übernahm die Wirtschaft bei ihm, wo nun Alice zurückblieb, weil sie noch die höhere Schule für Frauenberufe in Leipzig besuchte und die Prüfung als Kindergärtnerin und Hortnerin gut bestanden hatte, sich der mündlichen und die praktischen Prüfung zu unterziehen hatte. Deshalb ging Alice als Haustochter von März 1929 bis März 1930 ins Pfarrhaus zu Hermannrode, Kreis Witzenhausen, wo sie das Kochen, das Backen und Einmachen praktisch erlernte, während Frau Henkel ihre Tochter Martel und ihren Sohn Heinz nach Leipzig brachte, damit sie ebenfalls die Schulen  besuche konnten.

Im Jahre 1930 wurde die Urlaubszeit für Franz ungünstig insofern, als er im Hochsommer seinen Urlaub nicht hintereinander nehmen konnte und so entschloss er sich im Frühjahr 1930 im Monat April um Ostern herum 8 Tage seines Urlaubs vorweg zu nehmen, da Frau Henkel gern ihren Sohn Erich und ihre Schwiegertochter, die sich im Jahre 1927 in Lüneburg verheiratet hatten, in Peine bei Hannover besuchen wollte. Sie fuhren also um Ostern herum gegen Mitte April 1930 über Halle und Magdeburg und Braunschweig hinaus nach Peine unter Benützung eines Rundreiseheftes nach Hamburg und zurück über Bremen, um auch Herrn Hermann Röhr, ein Schwager der Frau Henkel und Emil Mester in Bremen zu besuchen. In Peine angekommen, fanden sie gleich die Weltorfer Straße am Schützenhaus, wo sie mit ihrer Tochter Ruth wohnten, und sind wohl 2 Tage dort geblieben. Das Mädel Ruth war wohl nicht ganz 3 Jahre alt und freute sich ebenfalls sehr ihre Großmutter kennen zu lernen. Erich, der bis kurz zuvor in einer Eisengießerei beschäftigt war, war durch die politischen Verhältnisse leider arbeitslos geworden und der kommunistischen Partei beigetreten, worüber sich seine Mutter sehr geärgert hat und ihm allerlei Vorwürfe machte. Es ging aber bald weiter nach Lehrte, wo sie den Zug Hannover-Hamburg erreichten und über Celle und Uelzen, Lüneburg direkt nach Hamburg-Altona gelangten, wo Herr Hermann Röhr bereits am Bahnhof war, um sie abzuholen. Er führte sie gleich in Richtung Ottensen durch die Bismarckstraße in der Gegend der Kreuzkirche in die von der Tann Nr. 7, wo er mit seiner Familie wohnte. Leider musste Franz feststellen, dass seine Frau vollkommen gelähmt war und dauernd von einer Stelle zum anderen in dem Rollstuhl gefahren werden musste. Mit Herrn Röhr haben sie wohl noch den Seeschiffhafen in Altona besucht sowie den Elbtunnel in Hamburg der nur 4 km von Hause entfernt war. Weiter sind sie in Hamburg wohl nicht gekommen. Nach 2 Tagen fuhren sie dann von Altona Hauptbahnhof zurück über Bremen, wo sie Ella und Emil und gleichzeitig Änne, seine jüngere Schwägerin, besuchten, ohne dass er sich viel daran erinnern könnte, um dann über Uelzen-Stendal und Magdeburg nach Leipzig zurückzufahren.

Durch Veranlassung der Frau Henkel feierte Franz im Jahre 1931 am 10. Dezember seinen Geburtstag im kleinen Saal von Fröhlichs Hotel, wozu er die älteren Mitglieder der TVL sowie seine Verwandten Müller aus Engelsdorf, Familie Grundmann und Kuntze und seinen alter Freund Max Schäfrich und Frau Elsa eingeladen hatte. Auch Lotte aus Eisenach war dabei, sodass im Ganzen ca. 50 Personen anwesend waren. Zum Essen gab es Pökelrippen, wobei jeder der Anwesenden 2 bzw. 3 Glas Bier getrunken hat, sodass seine Rechnung zwischen 130 und 140 Mark ausmachte. Dass er bei dem Fest von allen Seiten beglückwünscht wurde und große Reden geschwungen wurden, war selbstverständlich. Leider fühlte sich Frau Henkel nicht wohl dabei, weil der Vorstand sie nicht genügend berücksichtigt hatte, da sie doch die ganze Sache arrangiert und die meiste Arbeit dabei gehabt und zuletzt noch für Kaffee und Kuchen gesorgt hatte. Es war auch nicht ganz recht von Seiten des Vorstandes Herrn Rieder und Petersohn seine 4. Frau bei den Reden usw. so wenig zu erwähnen. Er persönlich habe es nicht so empfunden, da er von allen Seiten dauernd umringt wurde. Es wurde auch eine photographische Aufnahme bei Blitzlicht gemacht, worauf sämtliche Teilnehmer gut zu erkennen sind. Leider leben heute im Jahre 1946 viele davon nicht mehr, so z.B. Walter Funke, Leibiger, Walter Riedel, Kürsten, Helbig, Richard Wommer, Karl Wommer, Becker, Heinicke, Spengler, Hentschel, Gösbrich, Alicke, während Franz nun bald 75 Jahre alt wurde und immer noch die Sitzungen der TVL besuchen kann, wenn die Beine auch nicht immer so recht mitmachen wollten.

60.Geburtstag des Großvaters

Die Tochter Martel der Frau Henkel hatte in Magdeburg die Bekanntschaft eines Herrn Emil Metz gemacht, der auch später ihr Mann wurde. Da die beiden sich gern wieder treffen wollten, hatten sie sich ausgemacht, sich halbwegs zwischen Magdeburg und Leipzig zu treffen und Franz erklärte sich bereit, Martel bis Dessau mit dem Rade zu begleiten, was dann auch an einem Sonntag geschah. Sie fuhren frühzeitig von der Schützenstraße fort und kamen über Delitzsch bei schönem Wetter auch glücklich in Dessau an, wo sie in einem Garten in der Nähe des Bahnhofes, wo sie sich getroffen haben und zusammen beim Bier gefrühstückt haben. Es war noch in der sogenannten Systemzeit der damaligen Deutschen Republik der Weimarer Verfassung, wo jedoch die Hitlerpartei schon ziemlich stark geworden war. So entsinnt Franz sich noch, dass Schwestern beim Sammeln für das Rote Kreuz, Emil vorher frug, ob es für die Hitlerpartei sei, was jedoch verneint wurde und er dann auch ein Geldstück in die Sammelbüchse warf. Nachdem sie sich ausgeruht und gestärkt hatten, fuhren sie zu dritt der Straße nach Ziebigk entlang und an dem Ort vorbei bis zur Elbe, wo sie sich am Ufer niederließen und das Leben der Ausflügler beobachten konnten. Emil machte sich sogleich zum Bade fertig und sprang zuerst in den Fluss. Gegen 4 oder 5 Uhr nachmittags fuhr Franz dann allein zurück nach Leipzig, da Martel die Rückfahrt lieber mit dem Zug zurücklegen wollte, es war ihr scheinbar doch etwas zu weit gewesen von Leipzig bis Dessau. Am anderen Tag war sie auch wieder zu Hause, während Emil nach Magdeburg zurückgekehrt ist.

Im Jahre 1932 fuhr Franz nicht nach Brüssel, sondern in Folge einer Einladung seines Schwagers Emil Mester nach Bremen, um die Ferien dort zu verleben mit Frau Henkel. Sie fuhren also dieses Mal mit der Bahn über Halle, Dessau direkt bis Stendal, wo sie mit dem Berliner Zug bequem nach Bremen kamen, wo sie Emil am Bahnhof schon früh morgens abholte. Mit der Straßenbahn ging es dann gleich weiter bis Gröpelingen, wo sie durch Umsteigen direkt nach Grambke kamen, wo sie von seiner Schwägerin Elsa zum Kaffee schon erwartet wurden. Die Bremer Tage sind für sie sehr schnell vergangen, denn alle Tage hatten sie etwas vor, entweder ging es nach Bremen zur Besichtigung der Stadt oder sie machten zusammen einen Ausflug in der Umgegend und so waren sie in Worpswede bei sehr schönem Wetter, wo sich mehrere Künstler niedergelassen haben, um die schöne Heidelandschaft zu malen. Eine Kunsthandlung war vorhanden, welche sie auch besucht haben, ohne jedoch etwas zu kaufen. In der Nähe besuchten sie auch das neue Denkmal der Flieger des Weltkrieges, ein hoher Turmbau aus Ziegelsteinen, soviel er sich besinnen kann. Da sie erfahren hatten, dass das neue Dormier-Flugzeug, d.h. das erste Ganzmetallflugboot, „Do X“ genannt, zum ersten Mal nach Bremen kommen und auf der Weser landen wird, gingen sie nicht sehr weit von Grambke in der Nähe der Nordentischen Hütte am Weserufer, wo sie sich niederließen, um die Ankunft des großen Flugbootes abzuwarten. Nach ungefähr einer Stunde kam dann das Flugboot auch und ließ sich auf der Weser nieder, sodass sie das große Boot in Ruhe betrachten konnten. Emil führte sie auch einmal mit einem Auto nach einem Dorf nördlich von Lesum, wo sie einen norddeutschen Bauernhof in aller Ruhe besichtigen konnten. Wohnung und Ställe für das Vieh waren in einem großen Gebäude untergebracht, sodass man von der Wohnstube direkt in die Ställe treten konnte, aber ganz anders gebaut als bei uns in Sachsen oder Thüringen. Über Sankt Magnus fuhren sie dann zurück nach Grambke. Bevor sie nach Hause zurückfuhren, nahmen sie mit Emil eine Sonntagsfahrkarte nach Hamburg, um auch wieder einmal die große Handelsstadt zu besuchen. Außer den Alsteranlagen besichtigten sie das schöne große Rathaus, wo sie auch gut zu Mittag gegessen haben und sich die verschiedenen Säle haben zeigen lassen. Dass sie mehrere Male im Bremer Ratskeller waren, um den Wein zu probieren, muss nicht erwähnt werden. Zuletzt entschlossen sie sich mit dem Dampfer eine Besichtigung der Insel Helgoland zu unternehmen. Es war eine Wochenendfahrt von Bremen aus vorgesehen. Sie fuhren also an einem Sonnabendabend von Bremen auf der Weser flussabwärts zur Nordsee. Sonntag früh fuhren sie an Bremerhaven vorbei und gegen 2 Uhr früh am Roter-Sand-Leuchtturm vorbei. Da sich Helene auf dem Schiff nicht wohl fühlte, ging sie an die frische Luft außerhalb der Kabinen. Franz blieb während der ganzen Fahrzeit innerhalb des Schiffes, ohne etwas von Seekrankheit zu merken. Helene dagegen hat sich draußen wohl mehrere Male übergeben müssen. Früh morgens gegen 6 Uhr kamen sie in Helgoland an und sind gleich vom Schiff aus ausgelotst worden. Dann ging es vom Unterland auf das 53 Meter hohe Oberland hinauf und sie machten gleich die Tour um die Insel, die 4 km Umfang besitzt. Laut Friedensvertrag sind die Befestigungen, Hafenanlagen sowie die Schutzmauer zerstört worden. Außer ein paar Schafen haben sie bei ihrem Spaziergang kein weiteres Tier gesehen. Zurückgekehrt in den Ort, hat Helene wohl einige Kleinigkeiten gekauft, und nachdem sie sich in einem Gasthof ausgeruht und die Läden angesehen hatten, ging es mit dem Kahn zurück zum Schiff, wo sich Helene sofort in die unteren Räume begab, um sich gleich lang hinlegen zu können. Aber trotzdem ist ihr auch die Rückfahrt nicht gut bekommen, denn sie hatten Windstärke 6, also eine steife Brise, wo die Wellen bis 8 Meter erreichten. Die Rückfahrt ging nur bis Bremerhaven, wo sie den Zug nehmen mussten, um nach Bremen zurück zu gelangen. Sonst ist die Fahrt ihnen gut bekommen. Franz hat auch auf der Rückfahrt von der Seekrankheit nichts gespürt. Helene wird aber nicht so bald zu verführen sein, einen Seedampfer zu besteigen.

Vor Ende der Ferien lud sie Herbert nach Hilden ein und so fuhr Franz, bevor sie nach Leipzig zurückfuhren, zuerst nach Hilden, indem er in Wunstorf in den Zug nach Köln umstieg, dann zum zweiten Mal in Düsseldorf, um gegen 18.45 Uhr in Hilden anzukommen, wo ihn Herbert auf dem Bahnhof schon erwartete.  Jedenfalls war er mit Herbert in einer Gastwirtschaft in Hilden und sprach mit ihm über seine Tätigkeit in der Nationalsozialistischen Partei, denn Franz hatte in Erfahrung gebracht, dass er für die Partei Vorträge hielt. Er war aber für die Partei sehr begeistert, sodass es keinen Zweck hatte, ihn davon abbringen zu wollen. Er hat sich dann auch scheinbar für die Partei so geopfert, dass er später sehr krank wurde durch eine Erkältung, die er sich jedenfalls bei seinen Parteireisen geholt hat. Er wohnte in Hilden sehr gut und besaß einen größeren Garten, wo er Gemüse anbauen konnte.  Am nächsten Tag fuhr Franz dann zurück über Hamm nach Wunstorf, um dort Anschluss nach Hannover zu erreichen, da er in Peine aussteigen wollte, um Erich und Meta Henkel zu besuchen. Helene war von Bremen wohl direkt nach Wormstedt gefahren zum Geburtstag ihres Vaters. In Peine war Erich aus der Nationalsozialistischen Partei ausgetreten mit mehreren anderen Mitgliedern, weil der Vorstand einen Mann aufgenommen hatte, der vom Militär entlassen worden war wegen Betrügereien, war aber, da er arbeitslos war, der Kommunistischen Partei beigetreten, was er später sehr hat büßen müssen nach dem Sieg der Nationalsozialistischen Partei und der Machtergreifung von Hitler. Er fuhr also am nächsten Tag weiter nach Leipzig, wo sie sich dann wieder ihrer Arbeit gewidmet haben.

Helene und Franz – von der Machtübernahme der Nazis bis zum Beginn des II. Weltkrieges

Herbert hatte sich in Hilden stark erkältet, sodass er sich eine Lungenentzündung zuzog, woran er am 31.12.1932 starb. Lotte ist sofort von Eisenach aus nach Hilden gefahren, um Hilde und Reinhard mit dem Sarg von Herbert abzuholen, da Hilde ihren Mann gern in Leipzig begraben lassen wollte. Sie gingen am 31. Dezember nach Lindenau hinaus, um die Ankunft des Sarges bei den Schwiegereltern in der Aurelienstraße zu erwarten. Da Hilde und Lotte aber um Mitternacht noch nicht angekommen waren, gingen sie wieder nach Hause und erfuhren dann, dass sie nachts gegen 2 Uhr endlich angekommen waren und die Angelegenheit schon auf dem Südfriedhof schon erledigt hatten, wenn auch mit mehreren Schwierigkeiten. Am 4. Januar 1933 fand dann die Beerdigung auf dem Südfriedhof statt, wo außer ihnen und den Verwandten und Bekannten auch 7 Mitglieder der technischen Vereinigung anwesend waren. Die Fahrt von Hilden nach Leipzig war sehr schwierig und gefährlich durch die glatten teilweise gefrorenen Straßen, sodass der Sarg öfters verschoben wurde durch die ungleichen Bewegungen des Automobilwagens und Lotte und Hilde zu tun hatten, denselben in ruhiger Stellung zu halten. Franz muss aber die Leiter der Beerdigungsanstalt loben, die die Zahlung der Beerdigung in Zahlungen von 20 Mark zuließen, sodass er die letzte Rate erst nach 8 bis 10 Monaten zu leisten hatte, da Hilde sich keine große Mühe gab, die Rechnung möglichst schnell zu begleichen, trotzdem die Firma Schieß & Co in Düsseldorf sich Hilde gegenüber nicht kleinlich gezeigt hatte. Es war Franz peinlich, als der Vertreter der Anstalt bei der letzten Zahlung sagen musste: so eine langatmige Zahlung hätte er noch nicht gehabt. Franz war froh, dass die Sache nun durch ihn gut erledigt werden konnte. Die Hauptschuld trug wohl nicht Hilde, sondern ihre Mutter, die alles für sich in Anspruch nahm und Hilde zu viel Geld für Pension usw. abnahm. Von Zeit zu Zeit war er auch gezwungen etwas nachzuhelfen, da sie mit dem Gelde von Schieß und der Unterstützung oder Versicherung der Angestellten nicht auskam.

Auf dem Südfriedhof in Leipzig waren also nun aus der Familie außer seinem Sohn Herbert, seine Schwiegermutter Thekla Müller und sein Schwager Ernst Müller begraben. Die anderen Verwandten wie Großmutter und Großvater Albrecht sowie Frau Grundmann, die Schwester der Frau von Pittler und die Frau von Pittler selbst sowie Herr Wilhelm von Pittler ruhten in Leipzig-Gohlis.

Im Monat April 1934 fand in seiner Wohnung auch die Hochzeit der Tochter Martel mit Herrn Emil Wetz, Buchhändler in Magdeburg, statt, nachdem sich Frau Henkel mit der Verbindung einverstanden erklärt hatte. Denn sie war mit der Wahl ihrer Tochter von Anfang an gar nicht einverstanden. Er hat es aber doch verstanden, die Martel dazu zu bewegen, seine Frau zu werden. Die kirchliche Feier fand in der Nikolaikirche in Leipzig statt, woran auch Alice teilnahm. Franz war jedoch durch das Geschäft damals in Anspruch genommen, dass er an der Feier nur zu Hause teilnehmen konnte. Diese verlief unter der Beteiligung von Ernst und Ani Henkel, Rudi Henkel, Rudi und Alice und Erich und Meta Henkel sowie Martin Henkel sehr harmonisch, wonach das Brautpaar sich nach Halberstadt begab, wo Emil Wetz eine neue Stellung als Buchhändlergehilfe angenommen hatte.

Während der Geschäftsferien besuchten Frau Henkel und Franz, die Neuvermählten in Halberstadt, wobei Frau Henkel mit der Eisenbahn und Franz mit dem Rade hinfuhr, um dann von Halberstadt aus weiter zu seiner Schwester nach Brüssel zu fahren. Er fuhr also früh gegen 5 Uhr von der Tauchaer Straße ab und durchs Rosenthal nach Wahren an der Pittler-Fabrik vorbei über Schkeuditz nach Halle der altbekannten Chaussee entlang. In Halle fuhr er  weiter über den Riebeckplatz, die Magdeburger- und Ludwig-Wacherer-Straße am Altertumsmuseum vorbei nach Trotha zu und von hier bergan über Morl und dann bergab und leicht wellig nach Könnern und Alsleben, wo er die Saale überfuhr. Nachdem er hier etwas zu Mittag eingenommen hatte, ging es weiter über Schackstedt und Mehringen nach Aschersleben. Die Stadt wurde durchfahren, am Rathaus vorbei und es ging weiter über Hoym nach Quedlinburg, wo er sich eine Weile ausruhte bei einer Limonade, um dann um die Stadt herum die Straße nach Halberstadt zu erreichen. Über Münchenhof und Harsleben erreichte er Halberstadt, wo er ohne Mühe die Straße fand, in der Martel und Emil wohnten im Süden der Stadt. Er blieb 2 oder 3 Tage in Halberstadt, wo sie zusammen die Stadt und die Buchhandlung in der Schmiedegasse, wo Emil angestellt war, besuchten. Nach 3 Tagen fuhr er mit dem Rade früh morgens weiter bei bedecktem Himmel durch die Steinstraße zur Chaussee nach Braunschweig und über Aspenstedt, Athenstedt nach Dardesheim und Hessen, wo es anfing, stark zu regnen, sodass er gezwungen war, sich einige Minuten unterzustellen. Trotz des Regens fuhr er aber weiter durch den großen Bruch des großen Grabens über Roklum, Semmenstedt, Remmlingen, Wittmar und Wendessen bis Wolfenbüttel, wo er wegen des Regens gezwungen war einzukehren, wobei er die Gelegenheit nutzte und etwas zum Essen und Trinken bestellte. Nachdem er sich etwas ausgeruht und der Regen aufgehört hatte, fuhr er gegen 2 Uhr nachmittags weiter auf der Hauptstraße nach Braunschweig bis Rüningen, wo er, um die Stadt Braunschweig nicht durchfahren zu müssen, links abbog und über Timmerlah, Velchede an der Hauptstraße von Braunschweig Hannover erreichte und ganz gut und ziemlich trocken ankam. Velchede schien eine Haupthaltestelle für Überlandautos zu sein, denn hier stieß er auf mindestens 8 Lastautos, die gerade Station machten. Er fuhr aber weiter Richtung Hannover und kam dann bald nach Siersse und Dungelbeck an der Querstraße, die nach Peine führte. Nach 87,5 km war er von Halberstadt am Ziel seiner Tagestour angelangt und fand auch bald die Wohnung, wo Meta Henkel jetzt wohnte in einer Straße im Norden der Stadt. Meta freute sich sehr, dass er trotz des Wetters gut angekommen war und ging mit ihm, nachdem er etwas eingenommen hatte, in die Stadt, um Verschiedenes einzukaufen. Erich war nicht anwesend, da er 1933 durch seine früheren Parteifreunde gefangen genommen worden war und danach in verschiedenen Konzentrationslagern wie Celle, Königsberg, Dachau war, wobei er sehr viel zu leiden gehabt hat, denn seine ganzen Zähne hat er neu einsetzen lassen müssen. Da das Wetter sich nicht besserte, musste er umkehren, um dann von Leipzig den Zug zu nehmen.

Sein Freund Richard Wommer, Volt genannt, hatte sich auf Veranlassung seines Bruders in der von ihm gekauften Fabrik mit seiner Freundin Burchmann wohnlich eingerichtet und lebte während des ganzen Sommers in der Fabrik zwischen Lindenau und Rückmarsdorf am Eisenbahnübergang der Merseburger Chaussee. Helene und Franz waren ziemlich oft draußen bei schönem Wetter, da sie mit der Straßenbahn nach Leutzsch bzw. nach Gundorf bequem dorthin fahren konnten. Es wurde oft Kaffee getrunken beim Verzehren des selbstgebackenen Kuchens. Während er für die alten studentischen Gebräuche wenig Sinn hatte, war Wommer von den Paukabenden und den Pauksitzungen mit anderen farbentragenden Verbänden immer ganz begeistert.

Im Monat Oktober 1936 hat Franz beim Fahrradhändler der Sigur-Fahrradfabrik in Kassel ein neues Rad gekauft mit Halbballonreifen und Torpedofreilauf, weil er bei seinem Rade immer von hinten durch den Auftritt aufsteigen musste. Aber bei dem neuen Rade wurde es nicht anders, das freie Aufsteigen hat er nie gelernt, und stieg immer wieder von hinten auf. Das alte Rad hat er Rudi, dem zweiten Sohn der Frau Henkel überlassen, der damit lange Zeit nach der Mansfelder Fabrik in Paunsdorf gefahren ist. Mit dem neuen Sigur-Fahrrad ist er dann bis zum Herbst 1937 durchs Rosenthal oder bei schlechtem Wetter durch Gohlis nach Wahren in die Fabrik gefahren und hat auch mehrere Ausflüge damit gemacht, z.B. nach Wormstedt mit dem jüngeren Sohn Martin der Frau Henkel über Zwenkau, Pegau, Hohenmölsen, Teuchern, Osterfeld, Beuditz, Meyhen, Camburg und Eckolstädt und zurück wie gewöhnlich über Niedertrebra, Bad Sulza, Bad Kösen, Naumburg und Weißenfels, öfter nach Merseburg, um seinen Freund Max Schäfrig zu besuchen, nach Bucksdorf bei Halle zum Besuch eines Gewerbeschullehrers, der öfters zur Fabrik nach Wahren kam, um Unterrichtssachen für die Schule wie Kataloge, Prospekte usw. zu holen, wo Franz dann direkt über Halle und Schkeuditz zurück fuhr, wohingegen er hinwärts zur Abwechslung über Lindenthal, Radefeld, Wiedemar und Queis gefahren ist und die Fortschritte beim Bau der Autostraße von Sommerfeld nach Peissen bei Halle beobachten konnte, die ebenfalls wie alle Autostraßen im Deutschen Reich durch die Hitlerregierung gebaut wurden. Auch nach Engelsdorf zu seinem Schwager Bernhardt Müller ist er öfters sonntags vormittags gefahren. Von der allgemeinen Behauptung, dass es sich auf Ballonreifen leichter fahren sollte als auf den alten Reifen, hat er nichts gespürt. Auch ist er mehrmals mit dem neuen Rade in Eilenburg gewesen, um Ernst, den zweitältesten Sohn der Frau Henkel und seine Frau Anni zu besuchen, der in Eilenburg als Geometerbeamter angestellt worden war und dort am Nordring wohnte. Trotzdem war er mit dem neuen Rade sehr zufrieden und ist darauf bis Juli 1937 dauernd gefahren.

Es muss wohl im Monat Juni 1937 gewesen sein, als Franz in seinem Bürozimmer im alten Gebäude beim Gehen vom Arbeitstisch zum Aktenschrank von einen Schlaganfall getroffen wurde, der nur eine ½ Stunde dauerte, aber genügte, um das linke Bein in Mitleidenschaft zu ziehen, sodass es ihm unmöglich war, weiter zu gehen ohne zu hinken. Um ihm den Heimweg zu erleichtern, wurde Franz auf Veranlassung des Doktor Fehse vom Chauffeur im Auto nach Hause gefahren. Er ging gleich am nächsten Tag zu Doktor Molke, der feststellen konnte, dass bei ihm der Blutdruck über 200 mm war und Misteltropfen verschrieb, die wohl anfänglich etwas geholfen haben. Es war aber nicht ratsam, mit seinem hohen Blutdruck gleich wieder zu verreisen, denn der Doktor riet ihm, in ein Jodbad z.B. nach Tölz in Bayern zu gehen, um dort eine Kur zu absolvieren. Er ließ aber davon ab und entschloss sich diesmal mit Frau Henkel nur nach Neundorf bei Dessau zu fahren und dort die Ferien zu verbringen. Sie fuhren also los, Frau Henkel mit der Bahn und Franz mit dem Rade. Er wollte dort im Anhaltinischen Radtouren unternehmen. Die Wohnung der Martel war in einem Bauernhaus mit Hof und Wasserpumpe, sodass das Wasser für den Haushalt mit dem Eimer geholt werden musste. Emils Laden, eine Buchhandlung unter Führung der nationalsozialistischen Partei, befand sich in der Arkanischen Straße nicht weit vom Bahnübergang der Strecke Leipzig-Halle. Franz war auch dort, hat sich die Bücher, Atlanten usw. genauer angesehen. Die Buchhandlung war sehr gut eingerichtet, viele Parteibücher, aber auch schöne bekannte Atlanten, wissenschaftliche Bücher sowie technische Bücher. Ausländische Literatur war natürlich nicht vorhanden. Von Neundorf aus hat Franz dann kleine Radtouren unternommen so z.B. nach Dessau, nach Vockerode und nach Wörlitz mit dem schönen Park. Kurz danach ist er dann mit Frau Henkel und Martel mit der Eisenbahn von Jonitz, der nächsten Station, nochmals nach Wörlitz gefahren, um den schönen Wörlitzer Park anzusehen mit seinen Teichen und Baulichkeiten.

Nach 2 Wochen Aufenthalt sind sie zurück nach Leipzig, um nach Merseburg zu Schäfrichs und nach Milzau zu dem Bruder der Frau Henkel, der in Bischdorf noch Lehrer war, zu fahren und dann von hier nach Wormstedt zum Vater der Frau Henkel. Von Wormstedt aus ließen sie sich mit der Schwägerin Thekla nach Comburg fahren mit dem Wagen vom Bruder Otto Hüttenrauch, um von hier nach Jena mit der Eisenbahn zu fahren, wo Frau Henkel und Thekla die Frau des früheren Wormstedter Lehrers Herrn Weißbach, die in Lobeda wohnte, besuchen wollten. Nachdem sie in Jena durch die Stadt gegangen waren, ließ Franz die Frauen mit der elektrischen Bahn allein nach Lobeda fahren, er war früher schon einmal dort gewesen mit Frau Henkel allein, und machte dann für sich allein durch die Straßen von Jena einen Spaziergang, wobei er wohl merkte, dass ihm beim Vorbeifahren der Straßenbahn etwas schwindlig wurde und so kam ich an einem biochemischen Laden vorbei, wo er  fest entschlossen eintrat und das Fräulein fragte, ob sie ein Mittel gegen den hohen Blutdruck hätte. Sie antwortete ja, aber er musste sich erst vom Biochemiker untersuchen lassen, sie dürfte ihm nichts geben. Er wartete also einige Minuten und konnte gleich zum Biochemiker hinein, der zuerst, nachdem er sich vorgestellt hatte, mit seinem Apparat die Höhe des Blutdrucks maß. Derselbe war wie zu erwarten sehr hoch, ca. 250 mm, wobei er normal höchstens 170 sein dürfte bei seinem Alter von 66 Jahren. Er verschrieb ihm die erforderlichen Biopastillen zum Herunterdrücken des Blutdrucks und gab ihm, da er in Leipzig war, die Adresse des Vertreters der Pastillenfirma in Leipzig, der in Eutritzsch wohnte. Die Pastillenfirma war wohl in Bremen, wie aus der Aufschrift der Verpackung hervorging.

Wie ausgemacht, traf er die Frauen in Jena bald wieder, um nach Camburg und Wormstedt zurück zu gelangen. In Leipzig angekommen, hatte er nun keine Lust nach Eutritzsch zu fahren, um dort die nächsten Biopastillen zu holen, sondern ging zum biochemischen Verein in der Gellertstraße Nr. 12 in den Laden, der ihm bekannt war, da er gegenüber der Buchhandlung von Max Rübe lag. Hier ließ er sich durch den Biochemiker Herrn Herbst untersuchen, der wieder mit seinem Apparat 250 Blutdruck feststellte. Franz entschloss sich dem biochemischen Verein beizutreten, da dann die Untersuchungen billiger waren und bekam zuerst die Biopillen der Firma Schwabe Nr. 1.3.7 und 11 verschrieben. Herr Herbst behauptete, dass durch Einnehmen der Biopillen ein nochmaliger Schlaganfall nicht eintreten konnte, weil durch die Biomittel der verschiedenen Salzbäder wie Tölz, Karlsbad, Kissingen usw. die Arterien elastisch gehalten würden und keine Verengung derselben mehr eintreten konnte. Und er hat wohl auch Recht behalten, denn seit der Zeit hatte Franz keine Beschwerden mehr gehabt. Der Blutdruck ist nach und nach bis auf 180 zurückgegangen. Die Pastillen hat Franz bis zum Jahre 1943, als die Firma in der Gellertstraße durch Bombenangriff ausgebrannt ist, vom Biochemischen Verein bezogen, dann später von der Firma Schwabe in der Querstraße bzw. nach der Vernichtung der Apotheke in der Hospitalstraße 1 (Grassi-Museum).

Schon im Jahre 1927 lernte seine Tochter Alice bei verschiedenen Radtouren mit ihrem Vater nach Wormstedt Rudolf, den Sohn der Schwägerin Thekla von Helene, näher kennen und unternahm mit ihm, als er in Leipzig als Ingenieur angestellt war, mehrere Ausflüge mit dem Motorrad bis zum Rhein und traf sich mit ihm seit 1935 auch in Leipzig. Am 10. März 1938 fand dann die Hochzeit in der Nicolaikirche zu Leipzig statt. Zu der Hochzeitsfeier in der Tauchener Straße Nr. 16 waren alle Verwandten erschienen.

Die Hochzeitsfeier von Alice und Rudolf
Die Hochzeitsfeier von Alice und Rudolf

Seit 1936 wohnten Martel und Emil mit den 2 Kindern in Dessau, wo sie am Schlageterplatz eine schöne geräumige Wohnung gefunden hatten, sodass Emil nicht mehr mit dem Rade aufs Dorf fahren brauchte. Er war aber immer noch in der Buchhandlung in der Askanischen Straße angestellt und wohnte noch so lange am Schlageterplatz, bis er eine Buchhandlung in der Leopoldstraße übernehmen konnte und sich selbständig machte. Der Besitzer der betreffenden Buchhandlung hatte sich missfallend über Adolf Hitler geäußert und war deshalb verhaftet und bestraft worden, wobei ihm die Buchhandlung genommen wurde, und Emil Wetz Gelegenheit hatte, dieselbe zu übernehmen, nachdem er sich bei Bekannten 1000 RM borgen konnte, um die Buchhandlung übernehmen zu können. Leider war die Wohnung dazu sehr klein, sodass sie später auszogen und eine größere und schönere Wohnung in der Wilhelm-Müller-Straße 14/15 im Nordviertel nicht weit vom Schillerpark mieten konnten; den Laden aber behielten sie, da die Lage in der Leopoldstraße sehr günstig war.

Am 1. Oktober 1933 zogen sie von der Schützenstraße 17/III nach der Tauchaer Straße Nr. 16/I zusammen mit Frau Burchmann, die von der Wommerschen Fabrik in Rückmarsdorf nach der Reclamstraße gezogen war und die leere Wohnung im Vorbeigehen zusammen mit Frau Henkel entdeckt hatte. Es war eine große Wohnung und so entschlossen sie sich, mit Frau Burchmann die Wohnung zusammen zu mieten. Frau Burchmann nahm die vorderen 3 Zimmer und die Küche und Franz und Helene die hinteren 4 Zimmer, wovon das eine als Küche eingerichtet wurde. Der Hauswirt Herr Nathan war ein Jude und klagte sehr über die Verhältnisse der Zeit. Er wusste nicht, warum die Juden so verfolgt wurden. Er wäre doch auch nicht gegen die neue Regierung und so weiter. Uns gegenüber war er sehr zuvorkommend und ließ auch alles in einen guten Zustand bringen. Mit Frau Burchmann ging alles gut, solange die beiden Frauen sich verstanden, aber nach und nach ließ die Freundschaft nach und es kam zu Unzuträglichkeiten beim Saubermachen des langen Korridors. Sein Freund Volt kam nach wie vor täglich zu ihnen, denn die ältere Tochter der Frau Burchmann hatte nicht gelitten, dass Volt mit ihnen umzog von der Reclamstraße aus. Er hat sich dann ein Zimmer in der Nähe, in der Hofmeisterstraße Nr. 2 gemietet und brachte abends seine Wurst zum Abendbrot mit. Öfters brachte er auch gehacktes Fleisch mit, mit der Bitte an Helene, ein gebratenes deutsches Beefsteak daraus zu machen, was sie dann auch gerne tat. Das Verhältnis zwischen Volt und Volta, wie man Frau Burchmann nannte, hatte sich durch das Verhalten der älteren Tochter ziemlich gelockert, sodass er abends meistens bei ihnen war, um den Abend zu verbringen, sodass sie genug Zeit hatten, über alle Arten von Problemen zu diskutieren.

Martin, der dritte Sohn der Frau Henkel, wohnte bei ihnen im vorderen Zimmer der Tauchaer Straße Nr. 16 und hörte am 10. November 1938 früh morgens gegen ½ 5 Uhr, wie auf der Straße Fensterscheiben zertrümmert wurden. Er sprang aus dem Bett und konnte beobachten, wie in einem Weißwarengeschäft gegenüber die Ladeneinrichtung durch junge Leute mutwillig vernichtet wurde. Der Gewaltakt gegen die Juden hatte ab 4 Uhr früh angefangen auf Befehl des Propagandaministers Goebbels als Gegenmaßregelung für die Ermordung (Attentat) am 7. Nov. des deutschen Bevollmächtigten in Paris, Herrn von Rath, durch den Juden Grünspan. Sie hatten nicht gewusst, dass der Inhaber des betreffenden Ladens Jude war und hatten dort immer sehr gut und preiswert gekauft. Die Polizei hatte den Befehl bekommen, der Aktion der Partei nicht entgegen zu treten, und so erfuhr Franz im Laufe des Vormittags, dass das große Konfektionsgeschäft von Bamberger und Herz am Augustusplatz vollkommen beraubt und ausgebrannt worden war. Ebenso das Kaufhaus am Königsplatz war ausgeraubt und die Sachen wie Mäntel, Anzüge, Pelze usw. auf die Straße geworfen und teilweise vernichtet und verschleppt worden. Auch andere jüdische Geschäfte in der Stadt wurden ausgeplündert und die Ladenscheiben zertrümmert, überall lagen die zerbrochenen Fensterscheiben auf der Straße. Im Geschäft erfuhr er, dass die Parteileute und besonders die jugendlichen Elemente die Synagoge in der Zentralstraße angesteckt und den Jüdischen Friedhof in Eutritzsch geschändet hatten. Nach Feierabend ging er also zur Zentralstraße, um die Sache in Augenschein zu nehmen, und fand tatsächlich die Synagoge Gottsched- Ecke Zentralstraße noch in Flammen, umgeben von einer großen Anzahl Menschen, die sich das Vernichtungswerk ansahen, ohne etwas zu sagen, denn die Angst vor den Parteileuten war immer sehr groß. Sie lebten ja unter dem Terror der Partei und durften nirgends wagen, gegen Hitler und die Partei abfällig zu reden. Dann ging er am Augustusplatz vorbei, um den Brand bei Bamberger und Herz anzusehen. Dort konnte er feststellen, dass die Verkaufsräume ganz ausgebrannt waren und die Seitenwände der Nachbarhäuser mit einer unbrennbaren Masse bestrichen worden waren, sodass das Nachbarcafé durch das Isoliermittel nicht angegriffen wurde. Also war der Brand richtig vorbereitet worden. Auch bei einem Polen, der den Laden auch ihnen gegenüber hatte, wurden die Scheiben eingeschlagen und alles verschleppt. Den angerichteten Schaden musste die Stadt aber ersetzen, weil der Inhaber polnischer Staatsangehöriger war. Aber die deutschen Juden wurden schwer getroffen. Besonders in der Nordstraße, wo viele Juden wohnten, wurde vieles vernichtet. Die schweren Sessel und Möbel der Juden wurden zerschnitten, zerschlagen und auf die Straße geworfen. Die armen Menschen wurden gezwungen, sich zwischen den Ufermauern der Parthe zu sammeln und wurden dann teilweise unter Bewachung von SA-Leuten zum Bahnhof geführt, wo das Gepäck abgenommen wurde. Und dann ging es mit der Bahn nach Osten, wie ich gehört habe, Richtung Warschau und Prag, wo sich die Sammellager für die Juden und Gegner der Nationalsozialisten befanden, wo auch viele ihr Leben in den Sandgruben oder Vergasungsanstalten lassen mussten. Für die Juden war es eine schreckliche Zeit. Es war nur gut, dass unser Hauswirt, Herr Nathan, durch seine Sorgen usw. bereits im Jahre 1936 oder 1937 gestorben war. Zu seiner Beerdigung war aber Frau Henkel trotz der Gefahr, solchen Begräbnissen beizuwohnen, anwesend, um ihm die letzte Ehre zu geben. Er wurde im Eutritzscher Jüdischen Friedhof begraben, der durch die Parteimitglieder am 10. November stark geschändet wurde. Jedenfalls war der 10. November 1938 ein Schandfleck in der deutschen Geschichte.

In Leipzig und Berlin wurde die Sache durch die Parteistellen mit äußerster Gewalt durchgeführt, wohingegen die Aktion in kleineren Städten nicht so streng durchgeführt wurde, je nachdem, wie die betreffenden Amtsstellen eingestellt waren. Erst am 3. Tag fuhren Lautsprecherautos in Leipzig herum, um zu melden, dass das deutsche Volk nun genügend gesühnt hatte und die Verfolgung der Juden aufhören sollte. Die Juden hatten eine Sühneleistung von 1 Milliarde RM zu leisten und waren außerdem aus dem deutschen Leben ausgeschaltet. Es war jedenfalls eine große Unverschämtheit, das deutsche Volk für die Aktion verantwortlich zu machen, da vorher, außer den Parteistellen, niemand davon etwas erfahren hatte und die gemeine Sache gegen Andersgläubige nicht geduldet hätte, wenn auch eine freie Meinung nicht erlaubt war. Es folgte darauf natürlich eine Verurteilung durch das Ausland gegen Deutschland und besonders gegen die Parteigrößen.

Im Januar 1939 wurde sein Enkel Reinhardt, der Sohn von Herbert, der mit der Mutter Hilde und dem Stiefvater in Leipzig in der Hainstraße wohnte, früh morgens gegen 8 Uhr beim Überschreiten des Promenadenringes an der Löhrstraße von einem Autolastwagen angefahren, sodass er bewusstlos ins Krankenhaus geschafft werden musste. Leider waren die Verletzungen zu stark, dass er am nächsten Tage, am 24. Januar dann verstorben ist, wovon Hilde sich nicht sobald erholen konnte. Er war auch ihr einziger Sohn und sie hatte alles getan, um ihn eine gute Schule besuchen lassen zu können. Und auf dem Schulweg zur Realschule in der Nordstraße musste das große Unglück passieren, beim Überschreiten der Straße, da der Junge durch die vor der Lotorstraße postierten Droschken das Herankommen des Lastautos nicht bemerkt haben muss.

Im Februar 1939 starb in Wormstedt der Bruder der Frau Henkel, Hermann, der Besitzer des Gasthofes zur Erholung, den sie zusammen so oft besucht hatten und mit dem Franz öfters eine Partie Skat gespielt hatte während ihres Dortseins. Zur Beerdigung waren sie in Wormstedt, wo sie wieder einmal mit sämtlichen Verwandten zusammentrafen und auch über den Nachlass gesprochen wurde. Anwesend waren: die Schwester Martha Schmidt mit ihrem Mann Adolf, der Bruder Adolf aus Jena mit seiner Frau Alma, der Bruder Oswin, Gastwirt in Kösnitz mit seiner Frau, der Schwager Otto Hüttenrauch mit seiner Frau Thekla sowie Frau Henkel als Schwester und ich. Nach Hin- und Her-Reden wurden sie einig, die Angelegenheit bis auf weiteres zurückzustellen, während die Geschäftsmänner wie Adolf, der Fleischer aus Jena, die Sache lieber gleich erledigt gesehen hätten.

In der Familie wurde am 7. Juni bei Alice die erste Tochter Gisela geboren, worüber sie sich alle sehr gefreut haben, trotz der schwarzen Wolken am Horizont. In diesem Jahre wohl zu Pfingsten besuchten sie wieder einmal Merseburg und trafen Max Schäfrig und Elsa gesund und munter in ihrem Häuschen am Wupperweg 8. Von Merseburg ging es dann zu Fuß nach Bischdorf, um Otto, den Bruder von Frau Henkel zu besuchen. Auch er war gesund und munter und konnte als Lehrer und Amtswalter der Partei seine Verpflichtungen gut nachkommen. Da konnte Franz aber feststellen, wie unsachgemäß die Parteistellen die Sammlungen bei den Bewohnern durchführten, denn im Hofe der Wohnung war eine Ecke mit hunderten von eingesammelten Schuhen gefüllt, die nicht verteilt worden waren und unter den feuchten Wettereinwirkungen am Verfaulen waren. Wie Otto ihnen sagte, kümmere sich niemand mehr darum und so ging es mit vielen Sachen, die zuerst gesammelt wurden und dann entweder verdarben oder unrechtmäßig verteilt wurden. Mit dem Rade hat er Otto und Rosa von Leipzig aus öfters besucht, da er eine schöne Bibliothek besaß. Im August 1939 legte er ein Postsparbuch an, damit er auf Reisen ohne weiteres bei jeder Postanstalt Geld abheben konnte.

Durch den Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen war es verboten worden, fremde Sender zu hören, sodass sie von der Regierung nur einseitig unterrichtet wurden und von auswärts nichts erfahren konnten. Die Postverbindung mit Brüssel war jetzt auch unterbrochen, sodass Franz mit seiner Schwester oder seinen Brüsseler Freunden nicht mehr schreiben konnte seit seiner Rückkehr von Eisenach, da alle Postsendungen zensiert wurden. Bereits am 3. September erfolgten die Kriegserklärungen von Frankreich und England, nachdem Deutschland das englisch-französische Ultimatum abgelehnt hatte. Der Einmarsch der deutschen Armee in Polen ging schnell voran, da Deutschland darauf vorbereitet war. Eine Stadt nach der anderen wurde genommen, und am 23. September konnte das Oberkommando der Wehrmacht erklären, dass der Feldzug in Polen beendet sei. Am 27. September kapitulierte Warschau mit 100000 Mann, sodass die deutschen Truppen am 1. Oktober 1939 in Warschau einrücken konnten. Somit war vorläufig die Gefahr eines zweiten Weltkrieges beseitigt. Am 28. September schlossen das Deutsche Reich und die Sowjetunion einen Grenz- und Freundschaftsvertrag, der einen dauerhaften Frieden in Osteuropa regeln sollte. Die Grenzlinie zwischen Deutschland und Russland in Polen wurde genau festgelegt. An der Westfront wurden die Feindseligkeiten erst am 9. September durch die Franzosen an der Grenze zwischen Luxemburg und dem Rhein westlich Karlsruhe eröffnet. Seitdem fanden an der Westfront bis zum Frühjahr 1940 an keiner Stelle ernsthafte Kampfhandlungen statt. Die scheinbaren Bemühungen Hitlers den Frieden mit Frankreich und England zu sichern, wurden am 12. Oktober von Chamberlain abgelehnt. Auch ein gemeinsames Friedensangebot des belgischen Königs und der niederländischen Königin wurden von England und Frankreich abgelehnt. Um einen Angriff von Norden her zu verhindern, wurde durch Deutschland Dänemark und Norwegen Anfang April 1940 besetzt, da England scheinbar im Norden von Norwegen landen wollte.

Gegen Ende des Jahres 1939, am 10. Oktober, war seine Tochter Lotte in Leipzig, um der Taufe der kleinen Gisela in der Lindenauer Kirche beizuwohnen und als Patin beizustehen. Die anderen Paten waren Anita Henkel, die Frau von Ernst Henkel, dem Sohn von Frau Henkel, und Robert aus Wormstedt, der Schwager von Alice, der aber nicht dabei sein konnte, weil er eingezogen worden war und in der Bretagne in der Nähe von Granville als Soldat in der Kantine Dienst leisten musste. Frau Henkel und Franz haben der Taufe ebenfalls beigewohnt.

Am 8. November 1939 hielt der Führer eine Rede in München vor der alten Garde mit dem Ende: „Es kann hier nur einen Sieger geben, und das sind wir“, worauf kurz nach dem Weggang des Führers ein Attentat auf ihn erfolgte, wobei 7 Tote und 63 Verletzte zu beklagen waren. Es hieß von der Partei aus, dass das Attentat vom englischen Geheimdienst veranlasst worden sei, was wohl nicht gestimmt hat, sondern von Parteimitgliedern, die mit dem Vorgehen von Hitler nicht einverstanden waren. Der Führer wurde nicht getroffen, da die Explosion erst kurz nach dessen Fortgang erfolgte.

Bereits seit 1934 waren sie gezwungen wegen der drohenden Fliegergefahr aus der Luft, in den Reichsluftschutzbund einzutreten. Sein Mitgliedsausweis Nr. 27090 wurde am 1. April 1934 ausgestellt bei einem Jahresbeitrag von 1 Reichsmark. Es wurden damals schon Vorträge gehalten über die Grundfragen des zivilen Luftschutzes und über die Art der verschiedenen Bomben der feindlichen Mächte. In bald jedem Hause waren mehrere Keller als Luftschutzkeller ausgebaut worden und später auch die Böden soweit frei gemacht, dass keine brennbaren Gegenstände mehr vorhanden waren. Es war also schon lange vor 1939 mit dem Luftkrieg gerechnet worden, den sie bereits in England anwandten, wo London, Birmingham, Coventry, Portland, Manchester usw. bereits im Jahre 1940 mehrmals durch die deutsche Luftwaffe angegriffen worden waren. Wöchentlich wurde in den Lichtspielhäusern in der sogenannten Wochenschau die Fahrt unserer Luftfahrzeuge nach England gezeigt unter dem Motto: “Wir fahren gegen England“. Im Anfange war die Deutschen auch stark genug, die Bombardements auf England durchzuführen, weil die Gegner im Anfang nicht stark genug waren, um Deutschland von der Luft aus anzugreifen, drohten aber damit, dass sie spätestens im Jahre 1943 soweit sein würden, Deutschland durch den Luftkrieg zu vernichten, worauf Hitler eine Rede hielt, worin er erwähnte: „Sie wollten Deutschland durch den Luftkrieg vernichten; wir werden ihnen jetzt zeigen, wer vernichtet wird! Das englische Volk, das wir nur bedauern, kann sich dafür bei seinem Generalverbrecher Churchill bedanken.“

Die Luftangriffe wurden damals vom Reichsmarschall Hermann Göring von der Kanalküste aus geleitet und haben wohl bis zum Jahre 1942 gedauert.

So fing das Jahr 1940 an, als am 20. Januar Hitler anlässlich des Jahrestages der Machtübernahme wieder eine großsprecherische Rede hielt und damit schloss, dass sie kämpfen wollen bis zum Sieg.

Am 12. Februar wurde ein deutsch-russisches Wirtschaftsabkommen abgeschlossen, sodass man wenigstens hoffen durfte, dass Russland Deutschland nicht angreifen würde von Osten her. Am 18. März traf Hitler jedoch mit dem Duce Mussolini auf dem Brenner zusammen, während Deutschland in England und Frankreich mit der Luftwaffe Erfolge hatte. Am 9. April erfolgte der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Dänemark und Norwegen, um zu verhindern, dass England Norwegen besetzt.

Bereits 1929, als Franz nach England zu seinen Cousins John und Vincent Booth fahren wollte, hatte er sich in den deutschen Radfahrerbund als Mitglied angemeldet und hatte auch eine Grenzüberschreitungskarte erhalten, um „zollfrei“ über die deutsch-belgische Grenze und die belgisch-englische Grenze in der Nordsee mit dem Rade zu gelangen. Bis zum Jahre 1944 hat er die Jahresbeiträge und die Versicherung gegen Unfall bezahlt, ohne dass er die Grenzkarte benutzt hätte, da er unterwegs immer durch schlechtes Wetter verhindert wurde.

Der 1. Mai 1940 wurde auf Veranlassung der Pittler-Direktion im Sinne der nationalsozialistischen Partei wieder in Wahren auf dem Sportplatz am Auensee gefeiert, wobei sie geschlossen unter Musik und Hakenkreuzfahnen hin marschieren mussten und durch mehrere Parteigrößen große Reden gehalten wurden. Da Franz mit dem Rade zum Geschäft gefahren war, ging er nach Beendigung der Maifeier zur Fabrik zurück, um mit den Rade nach Hause zurück zu fahren, mit der Absicht seine Tochter Alice in Leipzig-Lindenau auf dem Rückweg zu besuchen. Er fuhr also durch das Rosenthal nach Leutzsch am Bahnhof vorbei und weiter nach Lindenau in die Ottostraße Nr. 10, wo sein Schwiegersohn mit Alice und der kleinen Tochter Gisela wohnte. Als er hinkam, war noch alles gesund und munter, nur die kleine Gisela war nicht so aufgeweckt wie sonst, sondern sie hielt den Mund fest geschlossen und war nicht zu bewegen etwas zu lächeln, trotzdem er durch Bewegen der Finger an dem kleine Kinn sich alle Mühe gab. Da Rudi und Alice zu Mittag essen wollten, verließ er sie bald wieder, um weiter zu fahren, nachdem Gisela ruhig in ihr Bettchen gelegt worden und wohl auch eingeschlafen war. Nachdem er nun zu Hause in der Tauchaer Straße angelangt war und bereits Mittag gegessen hatte, kam Rudi, sein Schwiegersohn, unverhofft zu ihnen und erzählte ihnen voll Trauer, dass Gisela plötzlich gestorben sei, ohne einen Laut von sich zu geben. Das arme Kind war also, nachdem Rudi es ins Bettchen gelegt hatte, ohne aufzuwachen gestorben. Da der Doktor die Todesursache nicht feststellen konnte, hatte Rudi noch Schwierigkeiten mit der Polizei, die wohl anzunehmen schien, dass das Kind durch schlechte Behandlung um das Leben gekommen sei. Jedenfalls wurden die Eltern nicht länger verdächtigt, an dem Tod ihres Kindes schuld zu sein und dieses konnte einige Tage später auf dem Lindenauer Friedhof in der Merseburger Straße beigesetzt werden. Es war ein harter Schlag für Alice und Rudi und den Großvater und es war sehr unerklärlich, wieso das kleine Kind von 10 Monaten so jung sterben musste.

Inzwischen ging der Krieg zwischen Deutschland und England weiter und es war auch im Monat Mai, am 10. Mai, als Hitler den Einmarsch des deutschen Heeres in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden befahl unter dem Vorwand, dass England und Frankreich den Einmarsch ins Ruhrgebiet vorbereitet hätten. Die deutschen Truppen erreichten die Yssel und überschritten die Maas und die Flugplätze von Antwerpen wurden bombardiert. Der Vormarsch durch Belgien, Holland und Luxemburg ging sehr schnell vor sich, denn am 12. Mai waren die deutschen Soldaten schon vor Tilburg, der  Geburtsstadt von Franz, am 13. Mai kapitulierte Rotterdam, nachdem es durch die deutsche Luftwaffe sehr stark zerstört worden war, wie er in einer späteren Wochenschau feststellen musste. Die Vernichtung der schönen großen Stadt von 572000 Einwohnern hat ihn sehr ergriffen und es war zu begreifen, dass nach den schweren Angriffen auf blühende Städte wie Rotterdam, London usw., auch wenn sie sich mit schweren Geschützen verteidigten, ihnen das von der übrigen Welt aus schwer zur Last gelegt werden würde und nie gut geheißen werden konnte.

Martin, der Sohn von Frau Henkel, der, wie schon erwähnt, bei ihnen ein Zimmer bewohnte, war bereits 1939 eingezogen worden und hatte unter schweren Anstrengungen in der Tschechoslowakei bei Böhmisch-Leipen, seine Rekrutenzeit durchgemacht, wobei er trotz seines schwachen Herzens unter der Gemeinheit seiner Vorgesetzten viel zu leiden hatte, da auf schwächere Menschen keine Rücksicht genommen wurde. Dass er den Dienst nicht gerade mit Begeisterung durchführte, ließ sich auch bei seiner demokratischen Gesinnung leicht erklären. Trotz der schnellen Ausbildung musste er am 10. Mai beim Einmarsch in Belgien über Aachen, die Kämpfe um die Forts von Lüttich mitmachen und marschierte mit der 4. Armee unter V. Kluge weiter an Lüttich vorbei über Perwetz nach Brabant und Frankreich hinein, wo er unter starken Strapazen über Messy bei Meaux nach Paris gelangte und dann weiter in Breville-sur-Mer nicht von Le Havre kam, wo es ihm noch verhältnismäßig gut ging und er nach Hause schrieb, dass er hoffte, bald entlassen zu werden. Da dachten sie schon, dass er zum Angriff nach England eingesetzt werden sollte, was jedoch nicht geschah, da die Angriffe auf England gescheitert sind und die Luftwaffe große Verluste zu verzeichnen hatte. Inzwischen waren die anderen deutschen Armeen nach dem Fall von Rotterdam und der Besetzung von Den Haag und Amsterdam (25.5.), von Mecheln und Antwerpen (17.5.), Brüssel (17.5.) und, nachdem die belgische Armee mit dem belgischen König kapituliert hatte, bis Dunkerque und Calais gelangt und hatten die Engländer gezwungen, nach England zurück zu flüchten unter großen Schiffs- und Menschenverlusten. Sie hatten die Schelde-Stellungen durchbrochen und Tournai genommen (23.5.) sowie Lille, Brügge und Ostende (28.5.) und die Stadt Paris durch Luftangriff ebenfalls angegriffen. Am 7. Juni wurde sogar Dover von der deutschen Luftwaffe angegriffen und am 10. Juni trat Italien mit Deutschland in den Krieg gegen Frankreich ein. Kurz darauf kam Martin nach Poitiers und der Demarkationslinie entlang weiter südlich bis Bordeaux und der Gerondemündung. Vor Poitiers aus konnte er mehrere Male nach Hause auf Urlaub kommen und brachte ihnen aus Frankreich vieles Gutes mit wie z.B. Champagnerwein, Gänse und allerhand zu essen, da es in Leipzig nicht mehr zu sehr glänzend war mit den Nahrungsmitteln.

Bereits im Jahre 1939 war auch Frau Helene Henkels Schwiegersohn, Emil Wetz, aus Dessau eingezogen worden und musste mit der Luftwaffe als Bodenpersonal nach Antwerpen abfahren. Im Jahre 1940, nachdem Brüssel besetzt worden war, kam er nach Brüssel, auf den Flugplatz Evere, von wo aus er öfters seinen Schwager und seine Schwester Louise besuchte und ihnen, da sie unter Lebensmittelmangel schwer leiden mussten, ein Kommissbrot gebracht hat, damit sie sich etwas erholen konnte, denn unter der deutschen Besatzung waren Lebensmittel schwer zu erhalten und sehr teuer. Sicher haben Martin Henkel und Emil Wetz in Frankreich bzw. in Belgien schöne Tage beim Militär erlebt, zumindest bis zum Jahre 1941, dann wurde der Krieg gegen Russland von Hitler befohlen. Es war wohl im Monat Juni 1940, als Paris durch deutsche Truppen durchschritten wurde und wo kurz danach auch Martin sich auf den Marsch nach dem Süden in Paris kurz aufgehalten hat.

Am 21. Juni 1940 wurde in Compiègne ein Waffenstillstand beschlossen, der dann am 22. Juni 1940 von Frankreich unterschrieben wurde. Es folgte darauf gleich die deutschen Luftangriffe auf die englische Ostküste, nachdem am 25. Juni 1940 die Waffenruhe an allen französischen Fronten geklärt werden konnte, nur aber leider war der Krieg durch die Hartnäckigkeit der NS-Führer noch nicht beendet.

Helene und Franz – Beginn des II. Weltkrieges

Durch den Einfall der deutschen Armee in Holland, Belgien und Frankreich war Franz mit seinem holländischen Pass gezwungen, sich ständig polizeilich zu melden. Am Anfang des Krieges musste er alle Tage, später im Jahre 1941 nur noch alle 3 oder 4 Tage dort erscheinen. Mit den Polizeibeamten ist er immer ganz gut ausgekommen und sie notierten jeweils seine Meldung.

Da er nun während des Krieges nicht nach Brüssel fahren konnte, entschloss er sich, nach Eisenach zu seiner Tochter Lotte ins Neulandhaus zu fahren und dort seine Ferien zu verleben. Von Ernst Henkels Schwiegervater, dem ältesten Sohn von Frau Henkel, erfuhr er, dass man dort ganz gut zu essen und trinken bekam und er konnte, nachdem er ihnen ein Paket mit Esswaren von Lotte abgegeben hatte, nur empfehlen, die Ferien dort zu verleben. Nachdem er sich polizeilich nach Eisenach abgemeldet hatte, fuhr er am 23. August zu Lottes Geburtstag allein nach Eisenach, da Frau Henkel lieber ihre Tochter Martel in Dessau besuchte. Franz kam gegen 11 Uhr wohlbehalten in Eisenach an, wo er  freundlich von den Damen des Neulandhauses empfangen wurde und bereits den wunderbaren Geburtstagstisch seiner Tochter bewundern konnte mit den vielen schönen Blumen und den reichlichen Geschenken. Die Kaffeetafel am Nachmittag war mit Blumen geschmückt und der Bohnenkaffee mit den schönen feinen Torten hat sehr gut geschmeckt. Es hat ihn sehr gefreut zu sehen, dass seine Tochter Lotte geehrt und übermäßig beschenkt wurde von den Damen und Freundinnen des Neulandhauses. Seine Ferien im Jahre 1940 hat er dort sehr gut verlebt und es gab früh zum Kaffee, mittags und abends immer reichlich zu essen für die von ihm abgegebenen Lebensmittelmarken, die er Lotte gegeben hatte. Die An- und Abmeldung bei der Polizei hat Lotte besorgt, wie sie es für jeden Gast zu tun hatte, die im Neulandhaus für eine oder mehrere Wochen wohnen wollten. Er ist öfters nach Eisenach hinunter gelaufen, meistens zur Post, um seine Briefe und Ansichtskarten an Frau Henkel, an die TVL und seine Bekannten einzuwerfen. Auch nach Brüssel an seine Schwester Louise und an Léon sowie an Herrn Pierre Flamand und Frau Oudergem hat er mehrere Karten gesandt, ebenso an die Nichten Louise de Roy und Suzanne Bomhals. Da er früher schon mehrmals auf der Wartburg gewesen war, ist er allein wenig heraufgekommen. Am 2. September ist er dann nach Hause zurückgefahren, nachdem er sich im Gästebuch mit ein paar Zeilen verabschiedet hatte. In Leipzig traf er dann Frau Henkel wieder.

Trotzdem sie in Leipzig bereits am 16. Juli 1940 zum ersten Mal Fliegeralarm gehabt hatten, kann er sich nicht entsinnen, in Eisenach im Luftschutzkeller gewesen zu sein, während sie in Leipzig vom 16. Juli 1940 ab 32 Mal Fliegeralarm hatten, besonders Engländer und Amerikaner griffen zuerst die deutschen Städte im Rheinland an und trafen erst viel später in Mitteldeutschland ein, sodass hier die große Gefahr, die ihnen drohte, nicht sehr ernst genommen wurde. Bei Fliegeralarm standen die Meisten noch nicht auf, wenn während der Nacht die Sirenen ertönten. Man blieb einfach liegen, bis die Entwarnung, die damals nicht lange auf sich warten ließ, ertönte. Im Luftschutzkeller wurden durch die Luftschutzmänner und auch von Frauen Vorträge gehalten, um die Bevölkerung zu belehren, wie man sich bei Luftgefahr zu verhalten hätte und wie man am besten die durchs Dach fallenden Brandbomben unschädlich machen solle. Die Frauen wurden besonders gezwungen, solche Vorträge, die öfters in Schulen und öffentlichen Gebäuden gehalten wurden, zu besuchen, um im Notfall eingreifen zu können und Brandschäden zu verhindern. Trotzdem die Gefahr des Bombenkrieges immer größer wurde, war ein Ende des Krieges nicht abzusehen, da Hitler absolut bis zum Ende nach seiner Ansicht bis zum Siege kämpfen wollte, trotzdem er selbst Amerika mit Rücksicht auf Japan den Krieg erklärt hatte, ohne zu berücksichtigen, dass Deutschland bereits 1918 den Weltkrieg durch den Kriegseintritt Amerikas verloren hatte, da die Vereinigten Staaten, in Bezug auf Lieferung von Waffen und Munition leistungsfähiger waren als die Deutschen. Deshalb wurde auch beschlossen, neben dem Westwall gegen Frankreich nun auch den Atlantikwall von Norwegen bis hinunter nach Spanien zu bauen, damit die Amerikaner und Engländer in Holland, Deutschland und Frankreich nicht landen konnten. Leider haben die Herren Führer übersehen, dass was gebaut wird, auch vernichtet werden kann, was Franz schon des Öfteren im Geschäft geäußert hatte allerdings mit großer Vorsicht, denn es war sehr gefährlich so etwas zu äußern, man lief immer Gefahr, verhaftet zu werden, wenn man an dem Sieg der Hitler-Armeen zweifelte.

Am 8. August begann die Schlacht um die Luftherrschaft über England, die von der Royal Air Force am 15. September gewonnen wurde, als in England 185 deutsche Flugzeuge abgeschossen wurden. Die deutsche Luftwaffe war so gut wie vernichtet, sodass die Angriffe auf Deutschland von da ab immer häufiger wurden und die Alarmsirenen bald alle Tage besonders in Westdeutschland zu hören waren.

Nach Aufzeichnungen seines Freundes Paul Ruppert, des Vorsitzenden der TVL, hatten sie vom 16. Juli an bis zum Ende des Jahres 1940, 32 Mal Luftalarm, wobei sie gegen Ende des Jahres immer nachts zwischen 12 und 4 Uhr in den Keller rannten unter Mitnahme eines Koffers mit 2 guten Anzügen, Unterwäsche, Strümpfen und den Hauptpapieren wie Familienbuch, Urkunden usw. Dann saßen die Hausbewohner zusammen auf Bänken und Stühlen und warteten, bis Entwarnung gegeben wurde. Aber alle waren froh, wenn sie wieder in ihre Betten kriechen konnten und die Feindflieger nicht bis Leipzig gekommen waren. Bei den ersten Alarmzeichen sind sie meistens nicht aufgestanden, nur später, als sie erfuhren, dass die Feindflieger über den Rhein gekommen waren und Städte wie Kassel, Hannover bereits bombardierten, ging es öfters in den Keller, im Winter unter Mitnahme von mehreren Decken. Jeder Mieter hat dann  auch von Zeit zu Zeit ein paar Briketts zu liefern, um den eingestellten kleinen Ofen zu feuern und Frau Henkel war öfters dran, das Feuer anzustecken, damit alle und besonders die Kinder nicht zu frieren brauchten. Zum Schlafen waren in einem Teil des Kellers auch 2 Betten vorgesehen, die jedoch sehr wenig, höchstens von den Kindern, benutzt wurden. Sie waren immer ca. 20 bis 25 Erwachsene und 6 bis 7 Kinder im Keller zusammen, wozu sich später, als die Angriffe gefährlicher wurden, auch einige Personen von der Straße, die gerade unterwegs waren, noch dazu gesellten. Von Zeit zu Zeit wurde durch Mitglieder der Partei und selbst von der Schutzmannschaft kontrolliert, ob auch alle Hausbewohner vom Vorder- wie vom Hinterhaus anwesend waren. Trotzdem sie besonders am Anfang der Alarme oft nicht unten waren, ist niemand an sie herangetreten. Erst später im Jahre 1943, nachdem die direkten Angriffe auf Leipzig erfolgt waren, wurde schärfer kontrolliert.

Der Krieg ging inzwischen weiter und im Monat März 1941 stieß der General-Feldmarschall Rommel in Nordafrika vor, wo er über Bengasi und Derna bis Tobruk vorstoßen konnte und dann sogar weiter bis Sollum an der ägyptischen Grenze, welches er wohl bis November 1941 halten konnte, um dann später im Mai 1942 den Rückzug anzutreten, da die Engländer inzwischen zur Gegenoffensive übergegangen waren, wobei die Gegenstöße von Rommel im Jahre 1942 nur viele Opfer gekostet hat, wenn er auch Tobruk, Sollum und Marsa Matruk wieder erobern konnte. Wie immer gab es am Anfang große Erfolge, um dann wie 1914 und auch bei diesem Krieg alles wieder aufgegeben werden musste, weil die Kräfte und Kriegsgeräte zuletzt nicht zulangten. Das schlimmste war daran, dass Hitler, nachdem er im Jahre 1941 auch den Balkan-Feldzug im April und Mai durchführte und auch die Insel Kreta erobert hatte, den Feldzug gegen die Sowjetunion unternahm, der anfangs auch große Siege brachte durch die Vernichtungsschlachten bei Minsk, Smolensk, Kiew, Uman, die sogenannten Kesselschlachten, wobei 200300 bis 600000 Gefangene gemacht wurden und dann bis Leningrad und Schlüßelburg durch die Stalinlinien stieß. Er versuchte, über Charkow Moskau zu umgehen, um dann im Jahre 1943 durch die Gegenoffensive der Russen den ganzen Krieg zu verlieren und ganz Deutschland in den Abgrund zu stürzen. Martin, der Sohn von Frau Henkel, und auch Emil, der Schwiegersohn, wurden – der eine von Frankreich und der andere von Brüssel aus – nach Russland kommandiert und mussten zuletzt ihre Leben in Russland lassen. Martin hatte sich in Frankreich ganz gut eingefunden und wäre auch nicht nach England gekommen, da die deutsche Luftwaffe ihr gewünschtes Ziel nicht erreicht hatte und eine Landung in England unmöglich geworden war. Emil Wetz hatte sich in Brüssel gut eingefunden, wurde dann aber zuerst nach Smolensk beordert und später durch die Gegenangriffe der Russen zuerst nach Minsk und, als der Krieg schon so gut wie verloren war, nach Posen versetzt. Der arme Martin wurde bei einem Vorstoß in Richtung Schlüßelburg im November 1941 durch einen Bauchschuss getroffen und starb unter großen Schmerzen am 17. November 1941 um 2 Uhr morgens. Emil Wetz dagegen hat weniger zu leiden gehabt, aber infolge der Verletzung an der Hand, die er sich in Posen später zuzog, starb er erst am 15. März 1945 im Lazarett zu Posen also erst 4 ½ Jahre später. Für Frau Henkel war es damals ein schwerer Schlag, den sie erst nach und nach überwunden hat. Von Martins Grab in Sologubovka haben sie Photographien erhalten.

Während sie Martin, nachdem er nach Russland versetzt worden ist, nicht mehr gesehen haben, ist Emil wieder von Brüssel aus in Dessau auf Urlaub gewesen. Im Jahre 1939 ist Martel vom Schlageterplatz in die Leopoldstraße 5, wo sich die Buchhandlung befand, umgezogen und im Jahre 1941 ist sie in die Wilhelm-Müller-Straße gezogen, weil die Wohnung in der Leopoldstraße zu eng geworden war. Emil war auch in dieser neuen Wohnung in Dessau auf Urlaub, bevor er nach Russland bzw. nach Smolensk ging.

Auch 1941 entschloss sich Franz trotz der Fliegergefahr seine Ferien wieder bei Lotte im Neulandhaus in Eisenach zu verbringen, weil er  damals noch annahm, dass eine Invasion durch die Amerikaner noch nicht stattfinden konnte. Da er jedoch nicht die ganzen Ferien in Eisenach verleben wollte, beschloss er mit Einverständnis von Frau Henkel, noch einmal eine längere Reise innerhalb Deutschlands zu machen und nahm deshalb beim Leipziger Messamt ein Rundreiseheft über Eisenach nach Offenbach am Main und Heidelberg, um dann von Eisenach aus die Verwandten der Frau Henkel in Offenbach, Darmstadt und Schlierbach zu besuchen, also eine sogenannte Vetternreise zu unternehmen unter Mitnahme der üblichen Lebensmittelkarten, um den Verwandten nicht direkt zur Last zu fallen.

Am 22. August fuhren sie also vom Hauptbahnhof gegen 8 Uhr früh ab und kamen über Apolda nach 11 Uhr pünktlich in Eisenach an, wo Lotte sie am Bahnhof abholte. Sie erhielten ein schönes Zimmer mit  Balkon und konnten sich häuslich einrichten. Am 23. August hatte Lotte gerade wieder Geburtstag und so konnten sie diesen zusammen feiern. Wie im Jahre 1940 war die Kaffeetafel reichlich mit den vielen Blumengaben geschmückt und bei Kaffee und Torten usw. wurde der Tag herrlich gefeiert, wobei die Neulanddamen und auch die Oberin Guida Diehl mehrere Lieder gedichtet hatten. Einige Freundinnen von Lotte trugen auch Gedichte vor, sodass das Geburtstagsfest sehr schön verlief. Sie konnten aber nur etwas Geld geben, damit Lotte sich einiges selbst anschaffen konnte. Das Leben im Neulandhaus war sehr nett, wobei Frau Diehl, die Oberin, einige Abende sogenannte Andachten abhielt, wobei die jungen Mädchen und auch sie andächtig zuhörten.

In der Umgebung haben sie dann während der 8 Tage, die sie dort wohnten, schöne Ausflüge gemacht und haben auch die Wartburg besucht, wobei sie eine große Führung mitgemacht und sämtliche Gebäude der Burg besichtigt haben. Auch das Lutherzimmer haben sie besichtigt, wobei ihnen auffiel, dass von dem berühmten Tintenklecks an der Wand, wo Luther das Tintenfass gegen die Wand geworfen haben soll, um den Teufel zu vertreiben, nicht mehr viel zu sehen war. Auch in der Stadt waren sie öfters und haben beim Einkaufen von Ansichtskarten, die Franz immer nach Brüssel geschickt hat, auch die Kinos der Stadt besucht. Auch ging er öfters zur Post am Markt, da die Karten ins Ausland nur als gewöhnliche Postkarten geschickt werden durften, Ansichtskarten durften nicht verschickt werden. Wegen seiner holländischen Staatsangehörigkeit hatte er keine Schwierigkeiten mehr, weil Franz deutscher Staatsangehöriger geworden war und im Besitz einer polizeilichen Kennkarte war, die vom 19. April 1941 datiert war. Nach 8 Tagen, also am 1. September 1941 fuhren sie, nachdem sie von allen Damen Abschied genommen hatten, weiter nach Offenbach am Main, wo sie von August Löhr erwartet wurden. Hier war die Luftgefahr schon größer als in Eisenach und Leipzig und die Stadtverwaltung hatte schon angefangen, große Bunker für die Bevölkerung zu bauen, die aus mehreren Stockwerken bestanden. Ein solcher Bunker befand sich auch in nächster Nähe der Wohnung von Löhrs. Er bestand aus starken Mauern mit wenig Öffnungen und recht vielen Kammern. Sie waren aber kaum 3 oder 4 Tage in Offenbach, als auch schon Luftalarm gegen Abend gegeben wurde, sodass sie gezwungen waren, in den mangelhaften Keller zu flüchten, der bedeutend schlechter ausgerüstet war, als sie es von Leipzig gewöhnt waren. Sie hatten kaum Platz sich zu drehen, so war dort noch alles durcheinander und wenig sortiert. Nach ca. einer halben Stunde wurde Entwarnung gegeben. Sie erfuhren  aber am anderen Tag, dass die feindlichen Flugzeuge im Osten von Frankfurt am Main beim Offenbacher Lokalbahnhof Häuser und Fabriken getroffen haben sollen. Sie waren also nicht mehr in der Lage, die feindlichen Flugzeuge zu verhindern, die die deutschen Städte im Westen wie Düsseldorf, Köln, Koblenz, Wiesbaden und Frankfurt angriffen, sodass man auch damit rechnen musste, dass sie später, wenn sie weiter über den Rhein kommen würden, auch bald nach Berlin und Leipzig kommen würden. Der Krieg war also damals so gut wie verloren und es war von Hitler Unsinn, den Krieg mit aller Gewalt weiterzuführen, da sie Ende 1941 auch in Russland auf Dauer nicht weiter kommen würden. Aber durch die Schwindelpropaganda von Goebbels und die Radiovorträge von Fritsche wurde das deutsche Volk zum Aushalten gezwungen und der Hitlerkrieg ging in Russland einfach weiter. In Deutschland war man trotz der Übermacht der feindlichen Luftwaffe des Sieges noch so sicher, dass vorläufig noch weiter an den Endsieg geglaubt wurde.

Sie fuhren also von Offenbach weiter nach Darmstadt, um die Cousine Melitta, die Franz früher schon im Jahre 1930 mit dem Rade besucht hatte, zu treffen. Mit Helene war er auch schon 1926 in Darmstadt von Offenbach aus, als sie von Brüssel kamen von der Silbernen Hochzeit seiner Schwester Louise. Sie waren aber inzwischen von der Kuhlenstraße, wo ihr Mann eine Kohlenhandlung hatte, nach der Blumenthalstraße jetzt Taunusring umgezogen, weil die alte Wohnung durch einen feindlichen Bombenangriff getroffen worden war und sie dabei viel verloren hatten. Trotzdem wurden sie sehr gut aufgenommen und konnten sogar durch Besorgung von Fleisch und Brot sich gut sattessen. Am anderen Tag ging es mit dem Schnellzug weiter nach Heidelberg, wo sie am Bahnhof einen Gepäckträger erwischten, der ihnen empfahl in der Pension „Elite“ in der Bunzenstraße 15 Wohnung zu nehmen, was sie dann auch taten, ohne weiter zu überlegen. Dort hatten sie es sehr gut getroffen, denn sowohl die Betten als auch das Essen waren sehr gut, trotzdem es damals schon mit den Lebensmitteln sehr schlecht stand und sie für jede Sache Lebensmittelmarken abgeben mussten. Aber das war Sache von Frau Henkel, die das immer gut erledigt hat. Die Wirtsleute waren scheinbar aus dem Osten zugewandert und hatten die Pension übernommen. Die Frau, eine Polin, konnte gut und vorteilhaft kochen und der Mann, der übrigens Leipzig gut kannte, erledigte die schweren Arbeiten, die anfielen. „Gute Morgen, gut geschlafen“ war morgens immer die Begrüßung der Frau in einer eigentümlichen östlichen Sprache, worüber sie sich noch lange danach amüsiert haben. Das Menü war auch ziemlich abwechslungsreich und reichlich, nur Wein und Bier gab es nicht, sodass sie immer mit Malzkaffee genauso wie zu Hause vorlieb nehmen mussten. Während der 8 Tage, die sie dort waren, haben sie Heidelberg in allen Richtungen durchwandert und haben das Schloss sowie den Schlosshof, wo er im Jahre 1908 schon einmal mit seiner ersten Frau Elsa, Lotte und Herbert bei ihrer Sommertour durch den Spessart und den Odenwald waren. Dann sind sie weiter auf den Königsstuhl gefahren, wo sie zu Mittag gegessen haben und dann am Aussichtsturm vorbei durch den schönen Wald an der Kanzel und dem Rondell vorbei abwärts wieder in die Bunsenstraße zurückzukommen, wo sie gerade zum Kaffee zurückkamen. Nachdem sie am Neckar spazieren waren, ging es nach Offenbach und zu den Löhrs zurück, von wo aus Franz mit der Straßenbahn nach Frankfurt fuhr, um von hier aus einmal Höchst zu besuchen, wo er doch bei der Maschinenfabrik Breuer von 1907 bis 1909 unter Leitung des Herrn Direktor Reinhardt beschäftigt war in der Hoffnung, dass währenddessen kein Bombenangriff erfolge. Er kam mit der Straßenbahn auch sehr gut und bequem hin und hat sich die Stadt seiner früheren Tätigkeit noch einmal anzusehen. Geändert hatte sich der Bahnhof, der neu gebaut worden war, und einen modernen Eindruck machte. Außer verschiedenen Kinos, die inzwischen überall gebaut worden waren, hatte sich nicht viel geändert. Auffallend war nur der Bau von mehreren Luftschutzbunkern, die sich ebenso wie in Offenbach noch im Bau befanden und von außen ganz weiß angestrichen waren. Zerstörungen durch Bombenangriffe konnte er nicht feststellen. Bevor er zurückfuhr, ging er noch die Königsteiner Straße hinunter, um festzustellen, ob die Wohnung, wo sie früher an der Ecke der Sedanstraße Nr. 2 gewohnt hatten, noch vorhanden war, was er auch feststellen konnte. In dieser Gegend war alles so geblieben, wie sie es verlassen hatten. So fuhr er von seinem Abstecher hoch befriedigt mit der Straßenbahn nach Frankfurt und Offenbach zurück, ohne jemand Bekanntes getroffen zu haben. In Offenbach blieben sie noch ein oder zwei Tage, um dann direkt nach Wachtersbach zu fahren und von hier mit der Kleinbahn nach Schlierbach zur Schwägerin der Frau Henkel, Martha Schade, wo er auch schon 1938 war, als er von Brüssel kommend, hier wegen seines verletzten Finger Station machte. Martha hat sich sehr gefreut, dass sie sie nun auch besuchten und ließ sie auch nicht gleich fort. Frau Henkel besorgte auch Fleisch und Brot und so blieben sie wohl noch 3 oder 4 Tage in Schlierbach. Von Fliegerangriffen hatten sie hier nicht viel gemerkt, nur wenn die Flieger nach Osten zu flogen in Richtung Bayern oder Thüringen, flogen sie oft über Schlierbach hinweg, ohne jedoch die Dörfer anzugreifen. Auch hatten sie hier keinen Alarm erlebt, wie es in Offenbach der Fall gewesen war. Nachdem sie sich hier in Schlierbach etwas erholt hatten, fuhren sie nach Leipzig zurück über Eisenach, wo sie Lotte auf dem Bahnsteig noch einmal begrüßen konnten, da sie nicht die Absicht hatten, im Neulandhaus noch einmal auszusteigen. Sicher sind sie aber in Apolda noch einmal ausgestiegen, um die Verwandten in Wormstedt zu besuchen, da der Vater von Helene im Monat August Geburtstag gehabt hatte und die Gelegenheit günstig war. Lange sind sie aber sicher nicht geblieben, da die Ferien nun zu Ende gingen.

In Leipzig angekommen, fanden sie alles noch in schönster Ordnung, denn außer einigen Fliegeralarmen war nichts vorgekommen. Es war aber leider die letzte größere Reise, die sie unternommen haben, gewesen, denn weiter als bis Eisenach konnten sie nun nicht mehr kommen.

Zu seinem 75. Jahre wurde er in der Frma gebührend geehrt und der Wunsch ausgesprochen, dass er noch recht lange seine Stellung als Patentingenieur ausführen solle. Zu Hause angekommen, ging das Feiern gleich weiter, denn Frau Henkel hatte natürlich Kuchen und Torte gebacken und gegen Abend kam auch eine Deputation der TVL vorbei, bestehend aus dem Vorsitzenden Leppert, der ein Jahr älter war als Franz, und seinem Freund Peterson, die ihm im Namen der Technischen Vereinigung eine schöne in Leder gebundene Schreibmappe sowie eine Nadel brachten. Dann kamen noch Ernst, der Sohn der Frau Henkel mit seiner Frau Anni, sowie die Hausbewohner von oben und die Nachbarin zum Kaffeetrinken, sodass er seinen Geburtstag bei Essen und Trinken gut beenden konnte.

Das Jahr 1941 ging dann ohne besondere Ereignisse vorbei, wobei die Kontrolle der Verdunklung wegen der Fliegergefahr immer schärfer wurde, aber ein Ende des unseligen Krieges noch nicht zu erwarten war und so ging es ohne weiteres in das Jahr 1942, wobei das Leben immer schwieriger wurde.

In Russland gingen der Angriffskrieg und die Kesselschlachten mit der Gefangennahme von vielen Russen immer weiter bis zu der großen Schlacht bei Charkow, wo Hitler sich vornahm, Moskau zu umgehen und einzuschließen, was ihm aber nicht gelungen ist. In den belgischen Zeitungen, die man damals am Hauptbahnhof erhalten konnte, hatte Franz gelesen, dass der Rexführer Degrelle, der die belgischen Nationalsozialisten mit Hitler zusammen gegen die Sowjetunion führte, bekannt gegeben hatte, dass Hitler Moskau einnehmen und zu Weihnachten am Ural sein werde, was auch Franz damals für möglich gehalten hatte. Es kam aber doch anders, denn Mitte Juli 1942 begann die Schlacht bei Stalingrad, dessen Einnahme Hitler auf den 25. Juli befohlen hatte. Die Schlacht zog sich aber bis zum 2. Februar 1943 hin ohne Unterbrechung und dauerte 200 Tage. Nach Beendigung dieser Schlacht ging das Gesetz des Handelns in die Hand der sowjetischen Armee über, die es bis zum Schluss des Krieges behielt. Nachdem die sowjetische Armee die Deutschen in Verteidigungskämpfen erschöpft und ausgepumpt hatte, ging sie selbst zur Offensive über und brachte in 5 Tagen vom 19. bis zum 24. November 1942 die Einkreisung der Hitlertruppen im Gebiet von Stalingrad zum Abschluss. Im „Kessel“ befanden sich die gesamte 6. Armee und die 4. Panzerarmee der Deutschen – 22 Divisionen mit gewaltigem Kriegsmaterial. Im Verlaufe des Dezember 1942 fuhren die Sowjettruppen fort, den Ring um die eingeschlossenen Truppen einzuengen.

Da der Krieg nicht aufhören wollte und die Luftangriffe noch nicht Leipzig erreicht hatten, beschlossen Franz und Helene auch im Jahr 1942 nach Eisenach zur Erholung zu fahren, um Lotte gleichzeitig zu besuchen. Und so haben sie vom 12. bis 28. August bei guter Küche im Neulandhaus in ihrem bekannten Zimmer mit großem Balkon und schöner Aussicht auf das Burschenschaftsdenkmal die Ferien ruhig verlebt, wobei sie wohl noch einmal die Wartburg, die Drachenschlucht besucht haben.  Sie unternahmen eine größere Tour zum Café Meyer in Unkeroda durch die schönen ruhigen Wälder, um den von allen Gästen  gelobten Bohnenkaffee zu probieren. Auch gab es damals noch etwas Kuchen oder Torte dazu, genauso wie in Eisenach im Mariental in der Sophienau. Über die wilde Sau sind sie dann zurück gelaufen, um von der Endstation Mariental zurück zum Neulandhaus zu gelangen. Ohne Fliegeralarm konnten sie am 28. August zurückfahren, um noch einmal in Wormstedt die Schwester und die Schwägerin der Frau Henkel zu besuchen, wie die Karten, die er von der Reise geschrieben hat, beweisen. In Eisenach konnte er Pastor Riem und Frau aus Merseburg begrüßen, der im Jahre 1920 seinen Übertritt zum protestantischen Glauben vollzogen hatte. Er war mit seiner Frau auch zufällig im Neulandhaus und sie haben sich ganz nett zu den Mahlzeiten unterhalten. Auch er konnte sich mit den Maßregelungen der nationalsozialistischen Partei nicht befreunden und hatte unter diesem Regime viel zu leiden. Zurück in Leipzig ging die Arbeit bei Pittler wie bisher weiter.

Der traurige Hitlerkrieg ging indessen weiter, ohne dass die Nazis das schreckliche Ende dieses Krieges gegen Russland eingestehen wollten.

Anfang November 1942 erhielt Franz durch seine Cousine Emma aus Brüssel die traurige Nachricht, dass seine Schwester Louise am 31. Oktober 1942 plötzlich gestorben sei. Soviel er erfahren konnte, ist sie früh beim Kaffeetrinken plötzlich zusammen gesunken, ohne ein Wort zu sagen. Ob durch Schwäche oder Hunger, war nicht zu erfahren. Jedenfalls ist sie ganz plötzlich, ob durch Gehirn- oder Herzschlag, zusammen gesunken. Die Nachricht hat Franz tief erschüttert und da Léon auch sein Leben nur durch seine Handarbeit aufrechterhalten konnte, so hat er sich verpflichtet gefühlt, für das Grab seiner Schwester 200 Mark an Léon über die Brüsseler Bank zu überweisen, was ihm im Monat Januar oder Februar 1943 gut gelungen ist, da damals in Brüssel noch die Deutschen waren. Vielleicht ist es für Louise gut gewesen, dass sie das Ende dieses unseligen Krieges und das Unglück nicht mehr erfahren hat und auch die späteren Angriffe der englischen Luftgeschwader auf die vielen belgischen Städte nicht mehr hat erleben müssen. Ein Bild des etwas später von Léon bestellten Grabdenkmals ist noch in seinem Besitz. Die Aufschrift auf dem ca. 2 Meter hohen Stein mit 2 Blumenvasen vorn aus Stein auf der starken viereckigen Steinplatte lautet:

„Ici repote Louise van Himbergen épouse de I.L. de Breuck 1873-1942“

Das Denkmal ist sehr schön ausgefallen und muss auch jedem gefallen. Sie liegt nun in Ruhe auf dem Friedhof von Anderlecht südwestlich von Brüssel.

Durch die inzwischen eingetretene Gegenoffensive der Russen im Gebiet von Stalingrad war jedoch der Krieg für Hitler endgültig verloren und so endete das Jahr 1942 sehr schlecht für Deutschland unter dem dauernden Rückzug der deutschen Armeen aus Russland. Durch den Sieg der Russen bei Stalingrad versuchten auch die Amerikaner am Atlantikwall schneller vorwärts zu kommen und so zeichnete sich das Jahr 1943 durch mehrere Angriffe der Engländer und Amerikaner an der Kanalküste aus so z.B. durch einen Landeversuch bei Dieppe und später bei Saint Lazaire an der Mündung der Loire, die jedoch noch von den Deutschen zurückgeschlagen wurden, und so kam das Jahr 1943 heran, das wohl das schlimmste Jahr für sie werden würde, wenn die schon lange vorausgesagte Invasion der Amerikaner in Frankreich glücken sollte.

Am 28. März 1943 wurde Berlin aus der Luft wohl zum ersten Mal schwer getroffen und zwar hauptsächlich die Viertel SW und SO, während der Norden, wo Meta und Erich wohnten, noch nicht betroffen waren. Die Beschädigungen waren sehr groß, da die Hauptverbindungen sowie die Gas- und Wasserversorgung schwer getroffen wurden, wie Erich später schrieb, nachdem er die betreffenden Viertel besucht hatte. Es war aber erst der Anfang der Vernichtungen und es kam später viel viel schlimmer. Trotzdem wurde der Krieg durch Hitler weitergeführt, obwohl die Flieger bereits von Aachen bis Berlin vorwärts gekommen waren und die deutschen Großstädte wie Köln, Düsseldorf, Frankfurt, Hannover usw. erreicht und bombardiert hatten. Wie lange würde Leipzig noch verschont bleiben?

In den Monaten April und Mai war es wohl auch, als die amerikanische und englische Luftwaffe viele Städte in Flandern und Nordfrankreich aus der Luft angegriffen und zwar hauptsächlich, um Rüstungsbetriebe zu treffen, die für die deutsche Wehrmacht Munitionsteile herstellten, wie z. B. auf die Werke Fives in Lille. Es wurde Kortrijk mehrere Male bombardiert, wobei viele Menschen ihr Leben lassen mussten. Auch Tournay, Gent, Antwerpen (5. April 1943) wurden schwer getroffen. Am meisten bedauerte Franz, dass Mecheln, wo er 2 Jahre gewohnt hatte, sehr schwer angegriffen wurde, sodass die Kirche Notre Dame aus Delu de la Dyle aus dem 12. Jahrhundert nach den veröffentlichten Zeitungsabbildungen, teilweise abbrannte. Auch die Arsenal des chemins de fer (Eisenbahnwerkstätte) am Bahnhof wurden teilweise vernichtet, sodass das ganze südöstliche Viertel der Stadt, wo die van Himbergens gewohnt hatten, gelitten haben muss. Auch Löwen und Hasselt wurde angegriffen, und auch auf Brüssel wurden einige Bomben abgeworfen.

Eben wurde Paris und ganz besonders das Viertel „Billancourt“, wo sich Werke von Junkers Dessau befanden, mehrmals bombardiert. Wie Franz durch die Angestellten von Pittler, die in Ruel, westlich von Paris in dem Pittlerwerk beschäftigt waren, erfahren hat, sind auch hier die Arbeiter beizeiten gewarnt worden, die Betriebe zu verlassen, da Luftangriffe zu bestimmten Zeiten erfolgen sollten. Es war ja auch die Zeit der Tiefflieger, die Jagd auf die Lokomotivführer der Eisenbahnzüge in Westfrankreich machten, um den Eisenbahnverkehr zu stören.

Am 22. Februar wurde Franz wieder Großvater durch die Geburt von Alices Töchterchen Christine, die in der Lindenauer Kirche am 22. Juni 1943 getauft wurde. Als Pate des Kindes war seine Tochter Lotte von Eisenach eingetroffen. Außerdem waren Ernst und Ani Henkel als Paten anwesend.

Am 10. Juli 1943 besuchte Franz Herr Louis de Zeeuw, den Sohn des Wirtes der Kneipe in der Rue des Visitandines in Brüssel, wo er öfter mit seinem Schwager Léon zum Frühschoppen war und mit ihm sonntags vormittags den Rundgang durch die Stadt machte. Der junge Mann war durch die Arbeiterverschleppung nach Deutschland gebracht worden, zuerst war er in der Gegend von Wernigerode in einem Arbeitslager und nun in Leipzig-Mölkau zur Arbeit gezwungen worden. Durch seinen Vater wurde Franz brieflich gebeten, sich nach seinem Sohn zu erkundigen, was er auch getan hat, indem er seinen Freund Wollmann, der mit dem Besitzer der Gießerei befreundet war, bat sich nach dem jungen Mann zu erkundigen und zu versuchen, ihn nicht in der Gießerei zu beschäftigen wegen der ungesunden Luft, was dann wohl auch erfolgt ist und er mehr in der Tischlerei beschäftigt wurde. Da das Ende des Krieges so wie so näher rückte, riet er ihm, nur noch auszuhalten, da die Sache nicht mehr lange dauern würde und er wohl bald wieder nach Hause kommen würde, was dann auch im Jahre 1945 erfolgte. Da es gerade Sonnabend war, nahm er den jungen Mann mit in die TVL, wo er mit ihnen ein paar Glas Bier trank, um dann, da er um 9 Uhr wieder zurück sein musste mit der Straßenbahn nach Mölkau zurück zu fahren. Weder vom Vater noch vom Sohn hat er seit der Zeit wieder etwas erfahren. Jedenfalls ist er nach dem Krieg wieder glücklich bei den Eltern eingetroffen.

Auch 1943 ist Franz in seinen Ferien am 11. August mit Frau Henkel nach Eisenach gfahren, wo sie bis zum 30. August geblieben sind. Soweit er sich erinnern kann, war auch Frau Roch mit ihrer Tochter im Neulandhaus, um die Ferien zu verleben. Frau Roch war die Nachbarin von Alice und bewohnte die Nebenwohnung in der Ottostraße Nr. 10 I in Leipzig-Lindenau. Sie haben mit der Tochter von Martel, der Bärbel, verschiedene Ausflüge in der Umgebung von Eisenach gemacht und eine längere Vormittagstour durch das Mariental und die Landgrafenschlucht bis zur Weinstraße, sodass sie sogar etwas verspätet zum Mittagstisch kamen. Auch waren sie 3 oder 4 Mal in Eisenach selbst und besuchten 2 oder 3 Filmtheater und die Konditorei Tigges in der Karlstraße. Sie blieben bis zum Ende der Ferien und waren froh zu erfahren, dass in Leipzig inzwischen nichts passiert war, denn die Luftangriffe der Engländer und Amerikaner rückten immer näher.

Kaum waren sie aber in Leipzig zurück, als Frau Henkel nach Dessau fahren musste, da die Tochter Martel ein kleines Mädel geboren hatte. Zufällig war aber ihr Mann Emil auf der Durchreise und hatte gerade noch Zeit gehabt, seine Frau in Dessau in die Klinik zu schaffen. Er musste aber gleich weiter nach Bayern fahren, wo er sich von der Wehrmacht aus für 10 Tage erholen sollte, denn durch den Partisanenkrieg in Russland waren die Soldaten alle sehr nervös geworden und hatten 20 Tage Urlaub erhalten, um sich zu erholen. Franz ist nicht mit nach Dessau gefahren, weil er lieber noch die 2 Tage Urlaub zu Hause in Leipzig verbringen wollte. Helene war es hauptsächlich darum zu tun, die kleine Sabine zu sehen.

1943-1945: Bomben auf Leipzig

Leider kamen nun die schlechten Tage für Leipzig, denn am 31. August ertönten die Sirenen so lange, dass Franz und Helene sofort aus ihren Betten sprangen und, da schon die Explosionen der Bomben zu hören waren, mit ihrem Gepäck sofort in den Keller rannten. Leipzig wurde nun  direkt angegriffen. Beim 80. Luftalarm dauerte es nicht allzu lange und sie hörten die Explosionen der Bomben in nächster Nähe. Die Bombenflugzeuge waren von Süden her gekommen und hatten hauptsächlich den Johannisfriedhof und die Gegend um das Buchhändlerhaus sowie von Süden nach Norden die Inselstraße überflogen, um über Eutritzsch die Stadt wieder zu verlassen. Dabei hatten sie die Verlagshäuser wie Reclam usw. bombardiert. Auch das große Haus von Heyne am Ende der Tauchaer Straße und der Postbahnhof wurden schwer getroffen, wie sie am folgenden Sonntag feststellen konnten. Nach einer halben Stunde war alles vorbei und sie konnten wieder zu Bett gehen.

Am nächsten Tag, es war ein Sonntag, sind sie dann über die Brandenburger Eisenbahnbrücke gelaufen, um sich die Folgen des Angriffes anzusehen und mussten dabei feststellen, dass die Hälfte der Bahnsteige getroffen und zerstört worden waren. Auch der Postbahnhof selbst war schwer getroffen worden. Die Häuser gegenüber des Bahnhofs in der Rohrteichstraße waren ebenfalls stark beschädigt. Am Vormittag hatte Franz die Beschädigungen in der Inselstraße und der Salomonstraße gesehen, wo besonders die Verlagsanstalt und die Druckereien von Reclam und an der Ecke der Mittel- und Reudnitzstraße die Druckerei von Weber und von der Leipziger Illustrierten schwer getroffen worden waren. Die Straße vor der Weber‘schen Anstalt war mit Drucksachen übersäht, worunter deutlich teilweise verbrannte Bilder von Hitler zu sehen waren. Scheinbar hatten die Luftangriffe es besonders auf die Verlagsanstalten von Leipzig abgesehen, denn weiter südlich beim Eilenburger Bahnhof und in der Hospitalstraße waren die bekannten Druckereien von Wegelin und Hübner usw. ebenfalls getroffen worden. Auch der Johannisfriedhof war schwer beschädigt worden und teilweise abgesperrt, weil im südlichen Teil die Kapelle getroffen und die Gräber umgeworfen worden waren. Durch die Friedhofswächter war der Zugang zu dem betreffenden Teil des Friedhofs durch Barrieren abgesteckt worden, sodass er nicht näher heran konnte. Die Bombenflugzeuge waren also von Süden über Markkleeberg gekommen und hatten die Bomben und die Phosphorbomben von Markkleeberg aus über Connewitz, den neuen Johannisfriedhof, das Johannishospital in der Nähe des Buchhändlerhauses am Eilenburger Bahnhof vorbei durch die Insel- und Salomonstraße über die Tuchfabrik von Heyne & Co und Buttenbery bis zum Paketbahnhof an der Rohrteichstraße in mehreren Reihen abgeworfen. Ihr Haus wurde glücklicherweise nicht getroffen, obwohl die Druckerei von Weber & Co kaum 200 Meter von ihrem Keller entfernt war. Darum waren die Detonationen im Keller so laut gewesen, dass sie dachten, es hätte bei ihnen im Hofe eingeschlagen. Sie waren aber diesmal noch glücklich davongekommen. Und als Franz nach den Angriffen seine schöne Büchersammlung mit dem neuen Meyers Lexikon und den schönen französischen astronomischen Büchern usw. mit Befriedigung ansah, hoffte er auch bei den späteren Luftangriffen verschont zu bleiben, auf seinen Glücksstern vertrauend.  Leider kam es später anders.

Kaum 2 Monate später, am 20. Oktober 1943 hatten sie den 85. Luftalarm in Leipzig, wobei die Bombenflugzeuge die Bombardierung der annähernd gleichen Strecke von Markkleeberg hinter Eutritzsch vornahmen und außer denselben Verlagsanstalten auch die Tuchfabrik von Heyne & Co in ihrer Nähe stark bombardiert und noch reichlicher vernichtet wurden. Besonders die Kohlgartenstraße wurde diesmal stark angegriffen, sodass der Nordteil der Straße vom Restaurant an der Ecke der Tauchaer Straße bis zur Ranftschen Gasse fast gänzlich vernichtet worden war. Trotz der vielen geworfenen Brand-, Stab- und sonstigen Bomben und dem Abwerfen von Phosphorbomben usw. kamen sie im Schutzkeller nochmals davon und nur in der Mittelstraße, 100 Meter von ihrem Haus entfernt, waren wieder auf die Druckanstalt von Weber & Co Bomben geworfen worden.

Es muss wohl im Monat Oktober oder November 1943 gewesen sein, als ganz plötzlich ohne vorherige Anmeldung Hans Hartung, der Sohn der Annemarie und Enkel der Frau Henkel mit 3 Kameraden aus Frankreich zurückkam, da sie gezwungen worden waren, aus Biarritz in Südfrankreich zu fliehen und die deutsche Grenze möglichst bald zu erreichen. Hans erzählte ihnen, dass sie getürmt seien, da sie sich in Frankreich nicht mehr halten konnten. Ob es mit der bevorstehenden Invasion der Amerikaner zusammenhing, konnte Franz nicht feststellen. Jedenfalls sind die 4 Männer von Biarritz an der spanischen Grenze mit Proviant für mehrere Tage, Gewehr und Patronen im besetzten Gebiet der Demarkationslinie entlang über Bayonne und Dax durch die Länder über Bordeaux, Angouleme, Poitiers, dann an Tours vorbei, quer durch Mittelfrankreich über Dijon in Richtung Mulhouse ca. 1050 bis 1100 km gelaufen, um nach Deutschland zurück zu gelangen, wobei sie sich fortwährend gegen die Angriffe der französischen sogenannten Maquis-Verbände mit dem Gewehr zu schützen hatten, denn dauernd wurden die vier Mann angegriffen. Auch für ihre Verpflegung hatten sie zu sorgen, denn in Feindesland fanden sie keine Unterstützung. Sie kamen aber durch und konnten in Mulhouse den deutschen Zug besteigen und bis Leipzig fahren, um sich einmal richtig bei der Großmutter auszuschlafen. Einer der Männer gab Frau Henkel auch seine Trommel voll Bohnenkaffee, sodass sie sich an gutem Kaffee satt trinken konnten. Es waren wohl mindestens 2 kg Kaffeebohnen, wovon sie eine längere Zeit haben zehren können. Am nächsten Tag fuhren die 4 Soldaten dann weiter, der eine bis in den Harz, der zweite wohl bis Hannover und der dritte mit Hans bis Hamburg, wo sie, soviel sie erfahren haben, gut angekommen sind. Hans dann wohl noch die deutsche Offensive in den Ardennen durch Luxemburg und Belgien mitgemacht und ist, nachdem diese auch missglückt war und die Deutschen sich im Jahre 1944 zurückziehen mussten, nach Beendigung des Krieges zu seiner Mutter nach Wentorf bei Hamburg zurückgekehrt.

Es vergingen aber kaum 3 Wochen und da ließen sich am Sonnabend, dem 4. Dezember 1943 früh 3.45 Uhr wieder die Sirenen hören zum Zeichen, dass die Bombenflugzeuge sich näherten. Da in letzter Zeit oft Alarm gegeben worden war, ohne dass ernstliche Angriffe erfolgt waren, standen Franz und ebenso Helene nicht sofort auf und drehten sich erst noch einmal im Bett herum. Aber das Getöse wurde stärker und man hörte schon die Bomben fallen. Nun ging es Hals über Kopf, sodass er die Hosen nicht einmal zuknöpfen konnte und halb angezogen mit dem Koffer hinunter in den Luftschutzkeller stürzte. Alle wunderten sich, dass sie so spät herunter kamen, da die Flieger schon über der Stadt waren. Es war von den Fliegern eine List angewendet worden, indem sie die Richtung auf Berlin eingeschlagen hatten. Die Flugzeuge änderten jedoch kurz vor der Hauptstadt ihren Kurs; ein Teil flog Halle an, ein zweiter Riesa. Gegen 3.30 Uhr drehten beide Verbände in Richtung Leipzig ab und um 3.38 Uhr fielen schon die ersten Bomben auf das Stadtgebiet. Der offizielle Fliegeralarm wurde, nach den Luftschutzakten von 3.39 Uhr (also 1 Minute nach Angriffsbeginn) bis 5.30 Uhr gegeben. Die Bomben hatten leichte Spiel, da in Leipzig zu der Zeit keine Abwehr vorhanden war. Die Leipziger Feuerwehr war nach Berlin beordert worden, um in der Hauptstadt zu helfen. Das war das Schlimmste dabei. Etwa 400 Flugzeuge griffen in dieser Nacht Leipzig an, wobei die Angriffe nicht wie bei den zwei vorigen schweren Angriffen von Süden nach Norden, sondern, wie sie feststellen konnten, von Ost nach West erfolgten, denn sie hörten im Keller deutlich, wie die Flugzeuge in Richtung Hauptbahnhof über ihr Haus flogen. Wie Franz später erfahren konnte, sind in dieser schrecklichen Nacht vom 4. Dezember ca. 9000 Stabbrandbomben, 17 400 Phosphorbomben, 1600 Sprengbomben mit einem Gewicht von 30 bis 45 kg und 18 Minenbomben abgeworfen worden. Insgesamt waren es also 119 000 Bomben, die auf Leipzig niedergingen. Die innere Stadt sowie das Südviertel wurden besonders schwer getroffen. 1 723 Menschen kamen dabei ums Leben: 587 Männer, 889 Frauen und 247 Kinder. Der Gebäudeschaden war in dieser Nacht besonders groß. Von zusammen 31 730 Häusern waren 4 011 völlig ausgebrannt, 1 063 schwer und   10 155 leicht beschädigt worden. Der entstandene Sachschaden der Stadt Leipzig belief sich in dieser einen Nacht auf 122 961 734 RM, die von Betrieben und Einzelpersonen auf insgesamt 435 111 434 RM. Mit einem Verlust von über 12 Mil. RM war die Firma F. A. Brockhaus in der Querstraße der am stärksten geschädigte Betrieb in Leipzig. Besonders hart mit 26 gänzlich ausgebombten und 73 beschädigten Gebäuden war die Universität von dem Angriff betroffen. Die Kulturstätten wurden in dieser Nacht zum größten Teil in Schutt und Asche gelegt. Außer der Oper, dem alten Theater, dem Schauspielhaus und dem Museum für bildende Künste wurden 94 Lichtspielhäuser, Büchereien und wissenschaftliche Sammlungen zerstört. 472 472 Fabriken gingen restlos in Flammen auf, 156 Betriebe konnten nur noch eingeschränkt arbeiten. Einen besonders schweren Schlag erlitt ihre Stadt durch die Zerstörung von Messehäusern und Ausstellungshallen. Im Ganzen wurden 48 beschädigt, 29 davon völlig. Außerdem brannten 56 Schulen und Akademien vollständig ab und 38 waren nur noch teilweise zu benutzen. Am Johannisplatz war die Kirche sowie das Grassimuseum schwer getroffen worden. Auch das Hotel Sachsenhof, der Sitz des Ingenieurvereins sowie in ihrer Nähe der Kristallpalast mit dem kleinen Kino waren vollkommen in Schutt gelegt.

Diese Angaben und die Verluste der Stadt Leipzig hat Franz natürlich erst später erfahren, denn vorläufig saßen sie mit den übrigen Hausbewohnern im Luftschutzkeller und erwarteten – alle sehr aufgeregt – das Ende des schweren Angriffes. Leider ist das Haus diesmal nicht ohne Beschädigungen geblieben und es dauerte nicht lange bis der Luftschutzwart meldete, dass es oben in der zweiten Etage brannte. Bevor sie jedoch heraufkamen, stürzten Ernst und Rudi in den Keller. Sie hatten Mühe gehabt zu ihnen zu gelangen, da außen alles abgesperrt war. Ernst Henkel hatte den Feuerwehrhelm auf dem Kopf und Rudi rief gleich aus, dass er ein armer Mann sei, weil sein Wohnhaus in der großen Fleischergasse abgebrannt sei und er seine Frau Lotte nicht finden könne. Er war nicht zu Hause gewesen, sondern bei Mansfeld im Geschäft, um die Fabrik mit den anderen Arbeitern zu schützen. Während die Bewohner der zweiten Etage hinaufgingen, um zu retten, was zu retten war, gingen Franz und Helene mit Ernst und Rudi in ihre Wohnung, wo glücklicherweise nichts passiert war. Da jedoch der Dachstuhl in Brand geraten war, musste eine Löschaktion organisiert werden und es war ein großes Glück, dass die Wasserleitung im Keller in Ordnung war, sodass sofort eine Eimerkette gebildet werden konnte, in die sich Franz ebenfalls einreihte. Es wurde Eimer für Eimer hinauf gegeben, woran sich alle Hausbewohner, Männer wie Frauen, beteiligten, damit genügend Wasser zu der Brandstelle gelangen konnte. Nachdem das Feuer scheinbar gelöscht worden war, wurde erst einmal ausgeruht, aber durch den Phosphor war es sehr schwer, den Brand der Balken nieder zu halten. Die Zungen der Flammen griffen immer weiter und die Männer hatten zu tun, die Flammen zu ersticken. Inzwischen war es 6 Uhr früh geworden und Ernst konnte ihnen erzählen, dass bei ihm in der Idastraße nichts schlimmes passiert sei, während sie durch Rudi erfuhren, dass das ganze Fleischergassenviertel zusammen mit der Mathäuskirche ein Raub der Flammen geworden sei und er nicht wusste, wo sich seine Lotte mit dem Kinde und der Schwägerin befand.

Später erfuhren sie, dass die drei durch eine Hintertür zur Promenade gelangt seien und unter großen Schwierigkeiten durchs Rosenthal zum Schützenhaus gekommen und dann auf Umwegen zum Plagwitzer Bahnhof, wo sie früh den Zug erreichten, der über Gaschwitz und weiter über Borna nach Bad Lausick fuhr, und von hier waren sie bei Bekannten in Ballendorf vorläufig gut aufgehoben. Unterwegs war Lotte wohl schwach geworden, sodass sie ein paar Mal der Unterstützung der Schwester bedurfte. Bei ihnen zu Hause gingen die Löscharbeiten immer weiter und es wurde eine Wache eingerichtet, die aufpassen sollte, dass das Feuer nicht weiter um sich griff. Die Männer wechselten sich zweistundenweise ab, wobei es aber leider vorkam, dass ein Mann aus dem Hinterhaus beim Wachen einschlief und der Brand des Balkens durch den Phosphor wieder auflackerte. Sie mussten also wieder eine Eimerkette bilden. Und das ging so weiter, bis man sich endlich mit der eingetroffenen freiwilligen Feuerwehr aus Markranstädt in Verbindung setzen konnte, die dann am Sonntagnachmittag heranrückte und einen Wasserschlauch gegen die Brandstelle richtete. Franz konnte von der Wohnstube aus die Arbeit der Feuerwehr beobachten und war froh, als er feststellen konnte, dass endlich der Wasserstrahl gegen das Dach gelenkt wurde. Es dauerte auch nicht lange, da ließ das Feuer nach und ihm schien nun die Gefahr vorüber. Um das weitere Brennen des Balkens zu verhindern, musste aber die Brandstelle mit dem Beil weggeschlagen werden. Inzwischen hatte sich auch noch herausgestellt, dass bei Frau Puppe, ihrer Nachbarin, das kleine Zimmer über dem Hauseingang, unter dem Boden ebenfalls ein Balken brannte, auch diese Stelle konnte nur durch Heraushacken der betreffenden Stelle entfernt werden, nachdem man ein Loch in die Zimmerwand geschlagen hatte.

Es war auch gut, dass die Tochter der Frau Henkel, Annemarie in Hamburg, ihren Sohn sofort zu ihnen geschickt hatte, der tüchtig angepackt hat, besonders in der zweiten Nacht, als die Gefahr immer noch nicht ganz beseitigt war. Er hat bei den Wachen oben auf dem Boden und bei der Frau Puppe mitgeholfen und dazu beigetragen, dass das Haus am 4. Dezember noch nicht ganz abgebrannt ist. Am Montag, dem 6. Dezember blieb Franz noch zu Hause und ist wohl erst am 8. Dezember, nachdem alle Gefahr vorbei war, nach Wahren gegangen, um sich im Geschäft zu entschuldigen.

Am 7. Dezember 1943 fuhr seine Tochter Alice mit ihren beiden Kindern, Wölfchen und Christel, sicherheitshalber, um der Gefahr der Bombenangriffe zu entgehen, nach Wormstedt zur Schwiegermutter in den Gasthof „Zur Erholung“, wo auch Franz mit Frau Henkel so oft gewesen war, und blieb  bis zum 24. August 1945 dort, bis die Gefahr bestand, dass ihre Wohnung in Leipzig vom Wohnungsamt beschlagnahmt werden würde. Sie langte darauf mit den Kindern von Niedertrebra aus über Weißenfels, Teuchern zusammen mit ihrer Nachbarin, die sie abgeholt hatte, nach schwieriger Fahrt glücklich wieder in Leipzig an. Rudi, sein Schwiegersohn, war inzwischen zur Wehrmacht eingezogen und leider durch die russische Armee später gefangen genommen worden. Die Wohnung von Alice war aber nicht getroffen worden, da Lindenau von den feindlichen Flugzeugen nur überflogen worden ist, und nur einzelne Häuser, so z.B. in der Hempelstraße, nicht weit von der Demmeringstraße, und weiter oben in Leutzsch um die Kirche herum getroffen wurde. Der Westen und der Osten von Leipzig waren bei sämtlichen Luftangriffen verhältnismäßig gut davon gekommen, ebenso der Vorort Wahren und Möckern, die kaum Zerstörungen aufzuweisen hatten, und auch später verschont blieben.

Am 10. Dezember 1943 konnte es Frau Henkel nicht unterlassen, seinen Geburtstag noch einmal zu feiern, wozu alle Hausbewohner eingeladen wurden. Es gab noch einmal Kaffee mit Kuchen und zwar in der großen vorderen Stube, die wie die ganze Wohnung intakt geblieben war. Gegen Ende des Kaffeerunde gab es aber plötzlich wieder Alarm, sodass alle schleunigst in den Luftschutzkeller hinunter rannten. Es stellte sich aber bald heraus, dass es ein Falschalarm war, der gegeben worden war, um die Menschen von der Straße zu bringen, weil ein paar höhere Parteigenossen, ob Dr. Ley oder Hitler selbst, war nicht zu erfahren, sich die Schäden des letzten Angriffes ansehen wollten. Anstatt nun Schluss zu machen, wurde, trotzdem auch Berlin und schon so viele deutsche Städte in Trümmern lagen, immer weiter gekämpft und die Menschen weiter für die unsinnige Idee geopfert. Sie hatten jedenfalls in Leipzig genug von dem nationalsozialistischen Krieg und dessen Grausamkeiten. Es war ein schlechtes Jahresende für die Stadt Leipzig und es dauerte 4 bis 5 Wochen, bis hier alles wieder soweit war, dass man annähernd die Verkehrsmittel benutzen konnte und das tägliche Leben wieder einigermaßen in Ordnung kam.

Die Angriffe wurden aber nicht nur in Leipzig immer schlimmer, grausamer und zahlreicher, sondern auch die Kleinstädte wie Eisenach und Dessau, wo Industrieanlagen gebaut und erweitert wurden, waren betroffen. Und so fühlte sich auch die Tochter Martel der Frau Henkel nicht mehr sicher und wollte, genau wie es Alice bereits am 7. Dezember 1943 getan hatte, mit den Kindern aufs Land ziehen und mietete sich eine Wohnung in Weddersstedt, einem Dorf zwischen Aschersleben und Halberstadt nicht sehr weit von Quedlinburg, da jetzt besonders durch die Junkerswerke auch die Stadt Dessau immer wieder angegriffen wurde. Zur Bequemlichkeit nahm sie aber einen Teil ihrer Möbel mit und viel Spielzeug der Kinder und ist wohl in Weddersstedt bis in den Februar 1946 geblieben, nachdem sie erfahren hatte, dass Emil am 15. März 1945 in Posen gefallen und ihre Wohnung in der Wilhelm-Müller-Straße in Dessau von den Russen wieder freigegeben worden war, denn diese hatten die Wohnung besetzt und wie große Kinder mit der Eisenbahn von Peter gespielt.

Auf Befehl der Partei wurde auch diesmal im Geschäft der 1. Mai als Arbeitsfeiertag in Wahren auf dem Sportplatz von der Partei und der Direktion stark gefeiert unter den gewohnten Schlagwörtern der Parteibonzen. Durch die Alliierten wurden aber schon gedruckte Zettel heruntergeworfen, um die Arbeiter zu überreden, zu revoltieren und sich von der nationalsozialistischen Partei zu befreien. Dabei kam auch Franz in den Besitz eines solchen Zettels, der von den Flugzeugen abgeworfen worden und mit den amerikanischen und englischen Staatswappen versehen waren. Darauf stand zu lesen:

Passierschein: Der deutsche Soldat, der diesen Passierschein vorzeigt, benutzt ihn als Zeichen seines ehrlichen Willens, sich zu ergeben. Er ist zu entwaffnen. Er muss gut behandelt werden. Er hat Anspruch auf Verpflegung und, wenn nötig, ärztliche Behandlung. Er wird so bald wie möglich aus der Gefahrenzone entfernt. Gezeichnet Dwight Eisenhower, Supreme Commander der alliierten Expeditionsarmee.

Dann folgte die englische Übersetzung als Safe Conduct. Auf der Rückseite waren die Grundsätze des Kriegsgefangenenrechts (laut Haager Konvention 1907 und Genfer Konvention 1929). Quer über dem Zettel war noch aufgedruckt „Gültig auch für Volkssturm“.

Die Zettel durften von deutscher Seite nicht aufgehoben werden, sondern wurden von der Polizei, von den Parteileuten und den Hitlerjungen eingesammelt und mussten von Privatpersonen abgeliefert werden. Ebenso war es mit den Zetteln, die die Bevölkerung aufforderten, mit dem Krieg aufzuhören und den Hitlerleuten nicht mehr zu folgen, dann würden auch die Luftangriffe aufhören. Wer aber die Zettel sammelte oder nur das Ende des Krieges herbeisehnte und darüber zu sprechen wagte, wurde von der Gestapo sofort abgeführt. Und es gab Menschen genug, Andersdenkende zu verraten. Es war also ausgeschlossen, bei der Organisation der Partei von unten aus ein Ende des Krieges herbeizuführen. Also gingen die Angriffe aus der Luft eben weiter und sie trafen sich weiter in der TVL, und im Geschäft saßen sie öfters zusammen bei jedem Fliegerangriff im Bunker oder in den unteren Räumen. In der letzten Zeit hatten die Arbeiter jedoch durchgesetzt, dass man bei Fliegeralarm die Fabrik verlassen durfte, z.B. in den Wald oder in einen Keller der Umgebung, wobei Franz in der letzten Zeit den Keller an der Ecke der Halleschen Straße und der Linkelstraße gewählt hatte. Bei jedem Alarm ging er also nicht mehr in den Bunker, sondern gegenüber dem Rathause in den betreffenden Keller und konnte dann wenigstens sonnabends mittags, als bald regelmäßig Alarm gegeben wurde, mit der Straßenbahn gleich nach Hause fahren. An den anderen Tagen musste er durch die Gärten zurück zur Fabrik, wobei Frau Irmisch, seine Schreibmaschinendame etwas später zurückkam, da sie sofort beim Alarm nach Hause lief, um mit ihrer Tochter zu Hause in der Annabergstraße 1 zusammen zu sein in der Stunde der Gefahr. Da kam es sonnabends mehrmals vor, dass unterwegs auf der Rückfahrt nach Hause während der Fahrt die Sirene wieder ertönte und man unterwegs in Gohlis aussteigen musste. Es klappte aber immer, dass er dann nicht mehr sehr weit von der Gohliser Brauerei war und noch bequem zu Fuß dorthin gelangen konnte. Da hat er dann in dem Bierkeller an der Ecke der Breitenfelder und der Eisenacher Straße so lange gewartet, bis die Entwarnung kam, um dann mit der elektrischen Bahn durch die Menckestraße nach Hause zu gelangen, wo die Leute dann eben aus dem Keller wieder hochgekommen waren. Direkte Luftangriffe musste er glücklicherweise während seines Weges zum Geschäft und zurück nie zu erleben.

Der nächste direkte Luftangriff, der 159., erfolgte dann erst am Pfingstsonntag, dem 29. Mai 1944, wobei leider wieder viel zerstört wurde und Tote zu beklagen waren. Im Monat Juni 1944 ließen auch die direkten Luftangriffe über Leipzig und andere Städte nach, weil die sogenannte Invasion am Atlantikwall mit der Landung der amerikanischen Truppen in Frankreich am 6. Juni 1944 ihren Anfang genommen hatte und der Rückzug der Deutschen in Russland als die bedeutendste Wendung des Hitlerkrieges zu verzeichnen war. Mit dem Erfolg des historischen 6. Juni 1944 war die Endphase des Krieges für alle sichtbar eingeleitet. Hitler hatte mit Zement und Phrasen den Atlantikwall gebaut und General Eisenhower stand vor der Aufgabe, den Wall, an dem Hitler Jahre hat bauen lassen, zu überwinden. Obwohl zwischen dem 13. Und 16. Juni 1944 wieder die schwersten Stürme tobten, waren innerhalb der ersten vier Wochen mehr als eine Million alliierter Truppen in Frankreich gelandet und mit ihnen 183 500 Wagenladungen von Munition befördert worden. Mit Spezialschiffen, die bei Flut an der Küste landen und dort zum Ausladen bleiben konnten, war es möglich, die Frachtdampfer schnell auszuladen. Drei Monate nach dem 6. Juni konnte man 100 Frachtschiffe zur gleichen Zeit vor der Küste zum Ausladen liegen sehen. Doch die größte imponierende technische Errungenschaft waren zwei in England hergestellte fertige „schwimmende Häfen“, die am Tau über den Kanal geführt wurden, die Kapazität des Hafens von Dover besaßen und gestatteten, am Invasionstag die vorhandenen Häfen links liegen zu lassen und den Schlag an einer am wenigsten erwarteten Stelle zu führen. Die vorfabrizierten Häfen bestanden aus drei Teilen: schwimmenden sowie festruhenden Wellenbrechern, um eine gut geschützte Wasserfläche zu schaffen, schwimmenden Landeköpfen, an denen die Dampfer festgemacht werden konnten und schwimmende Piers, über die alle Fahrzeuge von den Schiffen zum Ufer fuhren. Die Blockierungsschiffe, die als Wellenbrecher versenkt wurden, und den Kanal dicht hinter den die Sturmtruppen befördernden Dampfern querten, waren die ersten Hafenteile, welche die französische Küste erreichten. Zwölf Tage nach Beginn der Invasion waren bereits Piers – vielleicht am besten als schwimmende Brücken oder Fahrstraßen aus Stahl zu bezeichnen – in einer Ausdehnung von hunderten von Metern in Benützung, sodass bei jedem Wellengang ausgeladen werden konnte. Und es gelang die Invasion in der Bretagne an der Cotentinküste des Manche Departments, wobei die großen Häfen wie Cerbourg, Granville usw. vermieden wurde. Der Vormarsch der alliierten Truppen in der Bretagne über Contance, Caen, Argentan, Lisieux usw. nach Paris ging dann ziemlich schnell, sodass auch die Herren der Pittlerwerke in Ruelle bei Paris sich bald fertig machen mussten, nach Leipzig zurückzukehren, da sie nun in Frankreich sicher keine Unterstützung mehr finden konnten. Es dauerte dann auch nur ein paar Wochen, als die gesamte Direktion mit Dr. Fehse an der Spitze mit dem Auto aus Frankreich zurückkam, wobei die Firma die Maschinen, Einrichtungen zur Fabrikation der beabsichtigten Maschinen usw. zurücklassen musste, da doch keine Transportmöglichkeiten vorhanden waren, nur die Lastwagen der Wehrmacht, die mit sich selbst genug zu tun hatte. Auch sein Freund Röder kam bald aus Lille und Nordfrankreich zurück, indem er per Auto geflüchtet war unter Benutzung von Nebenstraßen über Kortrijk, Audenarde, Alost, Vilvoorde, Hasselt usw. und der Vermeidung der größeren Städte.

Es dauerte aber auch nicht lange, und da folgten wieder Luftangriffe auf Leipzig, Berlin, Hannover usw., wobei von Westen her die Amerikaner und von Osten her die Russen den Weg nach Berlin eingeschlagen hatten, wo sie sich, wie es hieß, die Hand reichen und den Frieden schließen wollten. Am 7. Juli 1944 erfolgte der 164. Luftalarm über Leipzig, wobei hauptsächlich der Markt und der Hauptbahnhof getroffen wurden und ebenfalls viele Tote zu beklagen waren. Beim späteren 167. Alarm, wo ebenfalls viel vernichtet wurde, am 20. Juni 1944, war Franz, wie schon erwähnt, in Eisenach, wo zu gleicher Zeit ein schwerer Angriff durch feindlichen Luftgeschwader erfolgte. Er war am 18. Juli 1944 nach Eisenach allein gefahren, während Frau Henkel ihn bis Apolda begleitet hatte, um bei seiner Tochter Lotte seine Ferien bis zum 28. Juli, also 10 Tage zu verleben. Dabei musste er den Angriff auf die Motorenwerke in Eisenach mit erleben. Nach dem Alarm mussten alle Gäste und Neulanddamen in den Luftschutzkeller, den er damals zum ersten Mal betrat, wobei sie feststellen mussten, dass der Angriff außerordentlich stark war. In dem Keller war es ziemlich eng und Lotte hatte zu tun, die Menschen, die alle ziemlich aufgeregt waren, zu beruhigen. Es krachte und donnerte schrecklich über Eisenach und im Wald. Aber das Krachen nahm doch ein Ende und da folgte er den Damen auf den Boden, von wo aus man sehen konnte, dass im Norden von Eisenach, in der Mühlhauser Straße und der Eisenbahn entlang große Brände loderten. Sicher waren die Bayerischen Motorenwerke getroffen worden. Am anderen Tage lenkte Franz seine Schritte dorthin und konnte feststellen, dass mehrere Fabrikgebäude und auch Wohngebäude getroffen worden waren. Er konnte sich aber nicht sehr lange aufhalten, denn ein Arbeiter erzählte ihm, dass sie bald wieder einen Luftalarm bekommen würden, sodass er sich auf den Rückweg zum Neulandhaus machte. Er ging wieder zum Marktplatz, damals noch Adolf-Hitler-Platz genannt, und durch die innere Stadt entlang der Karlsstraße, als plötzlich die Sirene wieder ertönte. Er fragte einige Passanten, wo hier ein guter Luftschutzkeller zu finden sei und so kam er am Frauenberg an ein ganz altes Gebäude, das als Amtsgericht diente, und wo er einen geräumigen Keller vorfand, der aber eigentlich nur für die Beamten des Hauses zu benutzen war. Er ließ sich aber nicht abhalten und nahm auch Platz in dem alten historischen Raum, der viel mehr Personen aufnehmen konnte als vorhanden. Der Alarm ging aber ohne Angriff vorüber und so ging er über den Frauenplan an Bachs Geburtshaus vorbei hinauf zum Neulandhaus, wo er noch gerade zum Mittagessen zurechtkam.

Zurückgekommen nach Leipzig, sah er die große Zerstörung der Querhalle am Hauptbahnhof, augenscheinlich war die ganze Querbahnsteighalle mit den Bogen und Trägern auf einmal zusammen gebrochen und ineinander gefallen; es waren Steinblöcke bzw. Betonblöcke von mehr als 2 bis 3 m3 zu sehen, die aufeinander lagen. Es hat auch bis zur Herbstmesse 1947 gedauert, bis die großen Blöcke entfernt werden konnten. Auf der Rückfahrt ist er in Apolda ausgestiegen, um seine Tochter Alice und die beiden Kinder Wolf und Christel in Wormstedt bei der Schwiegermutter zu besuchen. Am 23. August 1944 wurde dann Helga als drittes lebendes Kind in Wormstedt geboren, wodurch er zum 4. Mal Großvater wurde trotz der schlechten Zeiten.

Das Jahr 1945 sollte noch viel schlimmer ausfallen als die vorhergegangenen Jahre, da die Angriffe der feindlichen Kampfverbände immer häufiger und dichter hintereinander auf die deutschen Städte erfolgten von Aachen, Düsseldorf, Köln angefangen und Frankfurt am Main, Fulda und Thüringen erreichten, ebenso wie schon seit ein oder zwei Jahren Bremen, Hamburg, Hannover und Braunschweig und auch Berlin und Leipzig seit 1943 schon mehrmals angegriffen worden waren. Dass Deutschland den Krieg nicht mehr gewinnen konnte, da nun doch auch die russischen Flugzeuge mit eingriffen in den Kampf und die Vernichtung der deutschen Städte wie Königsberg in Ostpreußen, Breslau usw., war klar. Wenn sie die Städte auch mehr zu schonen schienen als die Engländer und Amerikaner, die keine Rücksicht mehr nahmen, ob es alte Kulturstätten der Kunst waren oder nicht, und auch die schönsten Bauten aus früheren Zeiten ohne Rücksicht bombardierten, da sie jedenfalls auf diese Weise schneller zum Ziel und zum Kriegsende kommen wollten und vielleicht früher die Hauptstadt Berlin erreichen konnten als die russische Armee, die nun schon seit 1943 auf dem Marsch nach Berlin waren, während die Amerikaner durch den Bau des Atlantikwalls bis zum Jahre 1944 aufgehalten worden waren, da die ersten Landungsversuche bei Dieppe und Saint Nazaire durch die Engländer über den Kanal nicht geglückt waren. Jedenfalls war die Fortsetzung des Krieges durch Hitler und seine Mithelfer für die Bevölkerung immer härter und so hörten im Jahre 1945 die Sirenen überhaupt nicht mehr auf zu heulen.

Bereits am 1. Januar ging der Kuckuck, das war das Radiozeichen, wenn die Feindflieger nur noch 220 km entfernt waren (Luftgefahr 25); die Luftgefahr 20, wenn sie noch 170 km entfernt waren; wenn der Sender aussetzte und die Flugzeuge 20 Minuten brauchten, um bis nach Leipzig zu gelangen. Bei 120 km oder 10 bis 15 Minuten Flugdauer wurde Klein-Alarm gegeben und der eigentliche Alarm wurde bei einer Flugentfernung von 12 bis 9 Minuten oder 100 km Entfernung gegeben, also z.B. wenn die Flugzeuge Gotha oder Magdeburg erreicht hatten. Da das Hauptziel der Flugzeuge meistens noch Berlin war, so kann man sich denken, dass die Leipziger sozusagen immer Luftgefahr hatten und man auf einen Alarm gefasst sein musste.

Am 2. Januar hielt die Direktion wie alljährlich seit das Hitlerreich bestand, einen Betriebsappell, wozu jeder Arbeiter und Angestellte um 9 Uhr vormittags zu erscheinen hatte, um die nationalsozialistischen Vorträge anzuhören. Da er die Genehmigung erhalten hatte infolge seines Alters von 9 Uhr früh bis 16 Uhr zu arbeiten, brauchte er zum ersten Mal an der Versammlung nicht teilzunehmen.

Kaum war die Veranstaltung vorbei, da ertönten auch schon die Sirenen mit der Meldung, dass die Bomber auf dem Weg nach Berlin waren und so ging es dauernd weiter, bis alle ihre Bekannten und die Verwandten mit wenigen Ausnahmen betroffen waren. Zuerst war es wohl die Tochter der Frau Henkel, Annemarie Hartung in Hamburg, die während eines Angriffes auf Hamburg ihre Wohnung mit allen Möbeln an einem Tag verlor, und da auch das Marineamt getroffen und vernichtet worden war, mit dem Amt vorläufig nach Wendorf ca. 18 km östlich von Hamburg mitziehen musste, um ihre Stellung beim Marineamt zu behalten. Ebenso wurde seine Schwägerin Änne Kuchenbecker in Bremen in der Nordstraße getroffen, wobei sie ebenfalls alles verlor. Dagegen wurde die Schwester Ella, die noch in Grambke bei Burg wohnt, nicht getroffen.

Rudi, der Sohn der Frau Henkel der bei der Firma Mansfeld in Paunsdorf bei Leipzig als Reparaturschlosser beschäftigt war, fuhr jeden Montag früh nach Wansleben in einen Schacht, der von der Partei als Munitionswerkstatt 500 Meter unter der Erde eingerichtet worden war, damit ungestört durch die dauernden Bombenangriffe für die Wehrmacht und andere wichtige Organisationen weitergearbeitet werden konnte. Als Arbeiter waren hauptsächlich ausländische Spezialisten aller Gattungen beschäftigt, die aber unter einem gewissen Terror zu arbeiten hatten, denn die Aufsicht führten verschiedene SS-Leute, das waren meistens rohe Menschen, die als Hitlergefolgschaft rigoros vorgingen und die Menschen teilweise sehr brutal behandelten. Die Firma Pittler hatte sich mit der Firma Mansfeld zusammen getan, um ihre Getriebeteile der Flüssigkeitsgetriebe ohne Störung fertigstellen zu können, die wahrscheinlich für die Marine bestimmt waren. Ob sie noch andere geheime Maschinen- oder Munitionsteile anfertigen ließ, war nicht bekannt. Jedenfalls war der Schacht so tief unter der Erde, dass dort unten nichts von der Erdoberfläche zu hören war. Jeden Sonnabend kam Rudi regelmäßig bei ihnen vorbei, um nach Ballendorf zur Familie zu fahren und kam sonntags zurück, um seine Arbeit bei Wansleben wieder fortzusetzen. Er war dort unten in dem Schacht wenigstens gegen die Bombenangriffe der Feindflieger während der Arbeit geschützt und konnte die Reparaturen an den vorhandenen Maschinen in Ruhe ausführen. Durch seine Beschäftigung in der Grube Wansleben, die ein wichtiger Wehrmachtsbetrieb war, hat er es auch nicht nötig gehabt, sich beim Volkssturm zu melden, was er bis zuletzt nicht getan hat, trotzdem die betreffenden Machthaber jede Woche zu Franz und Helene kamen, um sich nach Herrn Rudolf Henkel zu erkundigen. Auf diese Art ist er den militärischen Übungen fern geblieben und zum Militär nicht eingezogen worden. Durch den Vormarsch der Russen von Stalingrad aus war auch Martels Mann mit den Luftstreitkräften von Smolensk aus zurück gegangen, zuerst auf Minsk zu und zuletzt, wie voraus zu sehen war, nach Ostdeutschland in Posen, wo Martel noch ein paar Mal Gelegenheit hatte, ihren Mann zu besuchen durch die Freundlichkeit eines seiner vorgesetzten Offiziere. Bei solcher Gelegenheit hatte Martel immer etwas Zeit, ihre Mutter bei der Durchreise in Leipzig zu besuchen.

Am 22. Januar kam ganz plötzlich ohne Anmeldung die kleine Annelene, die zweite Tochter der Annemarie in Hamburg aus Preußisch Stargard, wo sie in einer Lehranstalt als Lehrerin ausgebildet werden sollte. Die Schule musste wegen Kohlenmangel und wegen des Heranrückens der Russen, die schon vor den Toren standen, geschlossen werden. Der Marsch der Russen auf Ostdeutschland war also schon sehr nahe gerückt, sodass die Deutschen sich zurückziehen mussten. Annelene ist über Stettin, Berlin und Dresden nach Leipzig gekommen. Es war wohl auch die höchste Zeit, dass sie vor den Russen geflohen war, denn am 24. Januar fanden in Bromberg schon schwere Straßenkämpfe statt. Im Westen dagegen war die große Gefahr, dass sich die Tiefflieger in Frontnähe bemerkbar machten und auch Zivilisten angriffen. Die Alliierten rückten eben immer näher und, statt den Krieg zu beenden, wurden in den Fabriken Sitzungen durch Parteileute gehalten, um die Disziplin der Leute zu erhöhen und so fand auch bei Pittler am 28. Januar eine Sitzung im Gastzimmer statt bezüglich der Einziehung von Leuten zum Kampf und des Zuspätkommens der Angestellten. Die Direktion verlangte mehr Disziplin und Pünktlichkeit von den Angestellten.

Am 28. Januar konnte aber Frau Henkel ihren Geburtstag im Beisein der Kinder und der Hausbewohner zu Hause feiern. Es war für Franz schon schwer in Wahren einen Blumentopf und beim Buchhändler Max Rübe 2 Bücher zu erwerben, denn Blumen wie auch Bücher waren schwer zu bekommen. Außer Annelene waren auch Martel aus Dessau erschienen sowie Ernst und Ani, um den Geburtstag der Mutter bei Kaffee und Kuchen zu feiern. Leider ging auch dieser Tag nicht ohne Luftalarm vorbei, denn von 20 bis 20.30 Uhr mussten sie den Luftschutzkeller aufsuchen.

Außer Berlin waren auch Köln, Dortmund, Stuttgart bombardiert worden. Von Berlin aus sind dann die Feindflugzeuge über Leipzig nach dem Westen zurückgeflogen. So ging es bald alle Tage weiter, besonders die Angriffe auf Berlin wiederholten  sich immer häufiger.

Es war für sie eine Überraschung, als am 1. Februar auch Rosi Hartung, die Schwester von Annelene von Bromberg aus zu ihnen nach Leipzig kam. Durch den Vormarsch der Russen war nun auch Rosi gezwungen gewesen ihr Tätigkeitsfeld in Bromberg, wo sie polnische Kinder unterrichtet hatte, zu verlassen. Da der Eisenbahnverkehr unterbrochen war, war sie gezwungen, bei Polen einen Wagen zu mieten und ist zuerst mit einer Frau und 6 Kindern aus der Umgebung von Bromberg in der Nähe von Krone geflüchtet, wobei sie das Pferd dirigiert hat, während die Frau mit den Kindern im Wagen saß. Dabei war alles verschneit und gefroren und sie ist auf Umwegen nach Norden über Schlo­chau usw. nach Neu-Stettin gefahren bei grimmiger Kälte über 145 km vom 21. bis 26. Februar, wo sie das Pferd und den Wagen bei einem Spediteur  wieder ablieferte, der die Rückbeförderung besorgen konnte. Bei der Tour sind unterwegs viele kleine Kinder erfroren und gestorben, die einfach in den Gräben am Wege liegen geblieben sind. Von Neu-Stettin konnte sie dann wohl die Eisenbahn benutzen, wobei die Menschen halbe und ganze Tage auf eine Weiterbeförderung warten mussten. Es war für Rosi und die Frau mit den vielen Kindern schrecklich gewesen. Von Stettin aus konnte sie dann wohl weiter fahren mit der Eisenbahn über Pasewalk, Neubrandenburg und Berlin, wo sie dann das Glück hatte, mit einem Soldatenzug nach Leipzig zu fahren und sogar mit einem Schnellzug. Die Frau mit den Kindern ist von Neubrandenburg weiter nach Hamburg gefahren. Das Mädel war 12 Tage unterwegs gewesen und hatte sich dabei böse Beine geholt, sodass sie, da die Beine eiterten, gleich zu einem Arzt in Behandlung gehen musste. Aber kaum war Rosi angekommen, mussten sie wieder in den Luftschutzkeller, da die Bombenflugzeuge wieder über Berlin waren, wo leider die Arbeitsfrontbücherei, in der Meta beschäftigt war, durch Bombenabwurf vernichtet wurde und ihre Freundin  und etwa 20 andere Kollegen den Tod fanden. Meta hatte zufällig Urlaub genommen und kam dadurch glücklich davon. Das Mädel kannte Franz auch, denn sie hatten sie vor einem Jahr, als sie  von Dessau aus einen Abstecher nach Berlin gemacht hatten, bei Erich in Gesundbrunnen kennen gelernt und waren sehr betrübt, als sie  von dem Unglück erfuhren. Aber in diesen schrecklichen Zeiten, wo es nur galt, den Nationalsozialismus zu vernichten, wurde keine Rücksicht mehr auf die deutschen Städte genommen und es wurde eine Stadt nach der anderen zerbombt, ohne Rücksicht auf die Einwohner zu nehmen, da alle oft genug gewarnt und vorgeschlagen worden war, dass die Stadtbewohner möglichst aufs Land gehen sollten.

Und so kam es auch, dass am 9. Februar 1945 auch Eisenach noch einmal von oben angegriffen worden war, wobei, wie Lotte uns mitteilte, im Neulandhaus viele Fensterschäden entstanden waren und in der Stadt das Lutherhaus sowie das Bachhaus und außerdem das Rathaus mit den Polizeiräumen usw. zerstört wurden. Neben Eisenach waren auch Magdeburg und Chemnitz getroffen worden, und nicht unerwähnt bleiben darf, dass am 13. Februar 1945 die schöne Stadt Dresden schwer heimgesucht wurde, wobei auch der Zwinger, Dresdens schönster und weltbekannter Barockbau schwer gelitten hat, sodass an einen Wiederaufbau so bald nicht zu denken war. Die Stadt wurde wohl zwei Mal hintereinander so stark angegriffen, dass von der inneren Altstadt so viel wie nichts übrig geblieben ist. Auch sein Freund Rolph Grauel, den er doch im Jahre 1937 besucht hatte in der Werderstraße, war mit der gesamten Familie im Luftschutzkeller verschüttet worden und konnte erst nach mehreren Tagen wieder befreit werden. Das ganze Viertel südlich des Hauptbahnhofes bis zur Nürnberger Straße wurde sehr schwer getroffen. Da die Bahnverbindungen mit Leipzig teilweise unterbrochen waren, dauerte es doch ein bis zwei Wochen bis Grauel seine Arbeit bei Pittler wieder aufnehmen konnte.

Helene und Franz am 28. Februar 1945: Ausgebombt

Der schlimmste Angriff für die Beiden erfolgte aber am 28. Februar 1945 um 13.15 Uhr, als Franz im Geschäft war und Frau Henkel allein zu Hause mit den übrigen Hausbewohnern. Er saß ganz ruhig im Bunker neben den Sportanlagen der Firma und ahnte nicht, dass es diesmal sehr schlimm für sie ausgegangen war. Als er aber erfuhr, dass besonders das Ostviertel in der Tauchaer Straße getroffen worden war, machte er sich auf den Weg nach Hause. Da am Rathaus in Wahren angekommen, die Außenbahn nach Schkeuditz nicht mehr fuhr und auch die Verbindung nach Möckern unterbrochen war, weil es an Straßenbahnwagen fehlte, blieb ihm nichts weiter übrig, als die 6,8 km zu Fuß zurückzulegen und so machte er sich auf den Weg der Halleschen Straße entlang und dann weiter durch die Kirchbergstraße, wo noch nicht viel zu entdecken war. Nur als er nach Gohlis kam, konnte er schon erahnen, wie schwer der Angriff auf Leipzig wieder ausgefallen war, denn in der Breitenfelder Straße musste er feststellen, dass das Haus Nr. 7, wo er nach seiner Verheiratung mit Elsa zuerst gewohnt hatte, schwer getroffen worden war. Auch war die Wohnung von Grundmanns zerstört. Die ganze Einrichtung von Marta und Dora Grundmann in der III. Etage war vernichtet worden. Die Möbel stammten noch von der Großmutter, Frau Albrecht, welche die Mädel teilweise geerbt hatten. Nur gut, dass Onkel Grundmann die Vernichtung seiner Möbel nicht mehr zu erleben brauchte. Franz ging aber weiter an der Weinstube vorbei, wo er früher von 1892 bis 1896, als er bei Grundmanns wohnte und in der „Invention“ bei Wilhelm von Pittler beschäftigt war,  bei einem Preis von 25 Pfennig für zwei Glas Bier zu Mittag gegessen hatte, Er ging die Menckestraße entlang, wo die Schokoladenfabrik von Felsche so schwer getroffen worden war, sodass man durch den Schutt nicht daran vorbeikam, da die gesamte Straßenbreite und die Fahrbahn der Straßenbahn durch die Schuttmassen belegt waren und er gezwungen war umzukehren. Aber auch der Schillerweg am Schillerhaus war nicht mehr passierbar, sodass er am Rosenthal vorbei gehen musste, um auf die Gohliser Straße zu gelangen, von wo aus er dann feststellen konnte, dass auch das Restaurant zur Börse und der Gohliser Gasthof sowie die Gohliser Kirche getroffen worden waren. Überall nur Schutt und Ruinen. So kam er zum Nordplatz, wo noch nichts zerstört war und frug ein paar Frauen, ob sie wüssten, ob die Tauchaer Straße getroffen worden sei, worauf er die Antwort erhielt, dass in Richtung Kristallpalast nichts passiert sei. Die Hauptsache wäre Richtung Brühl und Nikolaistraße, die schwer getroffen worden seien. Durch diese Auskunft war er nun etwas beruhigt und folgte seinem Weg weiter durch die damalige Gohliser oder Michaelisstraße, wo er leider feststellen musste, dass am Yorkplatz das Leihhaus noch brannte und dass auch einige Häuser am Yorkplatz schwer getroffen worden waren. Er konnte aber feststellen, dass ihr Vereinslokal verhältnismäßig wenig gelitten und hauptsächlich nur Fensterschäden aufzuweisen hatte. Dagegen waren weiter oben das Nordhotel und auch die Westseite der Güterabteilung am Hauptbahnhof zerstört. Am Blücherpatz waren ebenfalls mehrere Hotels schwer getroffen. Ob die Börse schon vorher getroffen worden war, wusste er nicht, denn die Fliegerangriffe, die zuletzt stattfanden, griffen alle ineinander. Voller Zuversicht ging er nun am Bahnhof vorbei der Wintergartenstraße zu in der Überzeugung, dass bei ihnen noch alles heil sein würde. Wie war aber seine Enttäuschung groß, als er feststellen musste, dass vom Nürnberger Hof und weiter oben auch seine Wohnung getroffen worden war. Frau Henkel kam ihm schon gleich entgegen und teilte ihm mit, dass sie die Sachen, d.h. was sie gerade noch hat retten können, in die Wohnung der Frau Bürger geschafft hätte und er dort hingehen sollte. Nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte, trat er in den Hausflur und über Bretter und Trümmer die Treppe hinauf, wo er oben den Schaden feststellen konnte. Rechts war die Küche und das Wohnzimmer nicht mehr,  alles war nach unten ins Parterre versunken, die gesamte Küche sowie der Bücherschrank mit seinen vielen Büchern und weiter hinten auch das Schlafzimmer mit dem Kleiderschrank und den Betten. Auch am Ende des Korridors war alles nach unten gesunken. Dagegen war das vordere Zimmer noch intakt, auch der zweite Bücherschrank mit seinen vielen französischen Zeitungen wie Je suis tous und die letzten Jahrgänge der Zeitung Lectures pour tans, die er doch schon seit 1899 gesammelt hatte. Die älteren Jahrgänge von 1899 bis vielleicht 1912 waren mit seinen französischen Zeitungen aus Brüssel „Le Patnote illustre“ und L’Illustration Europeenne, die er per Post immer erhalten hatte, sowie die Hefte des Weltkriegs 1916-1918, über 800 Seiten umfassend, und die Maschinentafeln der ausgestellten Werkzeugmaschinen auf der Pariser Ausstellung 1900, sowie ein Werk mit Biographie und Abbildungen von Dürer, Frau Henkel gehörend, ferner seine ganze Sammlung von astronomischen Abbildungen der Sonne, des Mondes mit Landschaften der Venus, des Mars, Jupiters, Saturns mit den Ringen des Neptuns und Uranus, sowie die historische Entwicklung der Drehbank, Bohr- und Fräsmaschine, alles auf Karton sauber aufgezogen mit gedruckten Beschreibungen, also alles was er in einem Kleiderschrank aufgehoben hatte, war mit den Zeitschriften in den unteren Raum oder Korridor der Möbelhandlung von ihrem Hauswirt hinabgesunken und sicher verbrannt. Aus dem zweiten Bücherschrank in der vorderen Stube holte er den Atlas von Stieler, den Lotte ihm in Merseburg gekauft hatte bei Stollberg, mit 108 schönen Landkarten aus dem unteren Kasten heraus sowie einige technische Hefte und einige Kataloge von Pittler aus und trug die Sachen in einem Handkorb gleich hinüber in die Wohnung von Frau Bürger, die 3 Häuser zurück in Nr. 10, II. Stock wohnte, und die Frau Henkel inzwischen sauber gekehrt und ausgewaschen hatte, denn auch das Haus Nr. 10 war getroffen worden und in der dritten Etage ausgebrannt und durch das Löschwasser war auch die Wohnung von Frau Berger stark mitgenommen worden. Die noch vorhandenen Möbel in der Wohnung Nr. 16, also der Bücherschrank mit den vielen technischen Büchern und Katalogen, sowie das Klavier, der Kleiderschrank mit den Sachen von Martin und den Bettgestellen konnten nicht fortgeschafft werden, da jeder mit sich zu tun hatte und so ließ er alles stehen, weil oben die Decke schon brannte und sogar brennende Holzstücke von oben herunter fielen. Es war auch niemand da zum Helfen und so transportierte er den Korb mit dem Atlas und den wenigen Büchern zur Wohnung der Frau Bürger, die zufällig nicht in Leipzig war, da sie zu ihrem Vater nach Lübben gefahren war. Die Frauen hatten aber unter sich ausgemacht, dass eine die andere aufnehmen wollte, wenn eines der Häusergetroffen werden sollte. Und so hatten sie das Glück im Unglück, gleich in die Wohnung der Frau Bürger ziehen zu können. Die anderen Hausbewohner hatten ihre Möbel alle auf die Straße gebracht und warteten nun auf einen Abtransport, teilweise bis zum übernächsten Tag. Die Frau Puppe fand auch nicht gleich eine passende Unterkunft und ist wohl zuerst nach Gohlis gezogen. Leider hatte Frau Henkel niemand zur Hand, der gleich mithelfen konnte. Während sie die Betten und die Sachen aus dem Kleiderschrank herunterschaffte, ist wohl auch noch verschiedenes gestohlen worden. Bei der Rettungsarbeit fingen sogar die Haare an zu brennen, sodass sie sich mit einem nassen Tuch den Kopf umwickelt hat. Als Franz nach Hause kam, war die Hauptarbeit durch Frau Henkel erledigt worden und er konnte sich gleich in der Wohnung der Frau Bürger hinsetzen, da sie ja die Hauptarbeit wie das Herüberschaffen und Saubermachen bereits erledigt hatte. Durch das Hinabwerfen der Phosphorbomben war auch gegen das Feuer nicht viel auszurichten, da der Phosphor sofort weiter um sich griff. Eine heimtückische Art Krieg zu führen, aber Deutschland hatte es ja in England auch nicht anders gemacht. Es war immer noch ein Glück, dass der Brand des Hauses von den Leuten im Keller gleich bemerkt worden war und sie doch noch einiges retten konnten. Beim Hinauslaufen aus der brennenden Stube konnte Frau Henkel sogar noch ihre Stehlampe, die sie sich vor kurzem von ihrer Freundin Klara aus der Ranftschen Gasse hat besorgen lassen, noch erfassen und mit hinüberretten. Sonst hatten sie alles verloren: die Küche, die Wohn- und Schlafstube mit sämtlichen Möbeln sind bald nach unten in der Feuermasse verschwunden. Auch der Schreibtisch mit seinen Sammlungen von Festzeitungen der TVL und seine Postkartensammlung und die Briefmarkensammlung von über 2000 Stück waren mit dem Radioapparat verschwunden. Das Schlimmste war ja, dass er in dem Bücherschrank in der Wohnstube seine geliebten astronomischen, geographischen, naturwissenschaftlichen Bücher und Atlanten, deutsche und französische sowie die zwei Lexika von Meyer, 5. und 7. Auflage,  aufbewahrt hatte, die nun verloren gegangen waren und außerdem die 600 Hefte des französischen Lexikons Larousse aus den letzten Jahren mit den vielen neuen Karten aus allen Erdteilen. Auch sämtliche Reiseführer und Autokarten von Michelin und von der B.Z., die er schon zusammen hatte, mit den belgischen Führern und Landkarten waren vernichtet. Eine Sammlung, die ihm viel Freude und Arbeit gemacht hatte. Es nützte aber alles nichts, er musste sich eben über das Unglück hinwegsetzen und froh sein, dass sie wenigstens wieder ein Dach über dem Kopf hatten. Das Wenige, das sie hatten retten können, wurde zusammengestellt und Helene besorgte inzwischen den Haushalt weiter in der Wohnung der Frau Bürger, die wohl erst nach drei Wochen aus Lübben zurückkam und froh war, dass sie ihre schöne Wohnung noch besaß. Sie richteten sich inzwischen häuslich ein, da 2 große Betten vorhanden waren mit einem großen Kleiderschrank und einem schönen Schreibtisch. Bald hatte er sich in das Unvermeidliche hineingefunden. Da wie bei den früheren Luftangriffen die Straßenbahnen nicht fahren konnten, denn außer der Oberleitung waren auch die Schienen total verbogen und unbrauchbar geworden, so musste er nun, um nach Wahren zu gelangen vorläufig bis zum alten Theater laufen, von wo aus die Straßenbahn nach Knauthain fuhr, während alle anderen Straßenbahnen nicht fahren konnten. Er benützte also die Nr. 25 bis zum Waldplatz, um von hier aus durch den Wald nach Wahren zu gelangen durch die damalige Hindenburgstraße. Als er eine Viertelstunde gegangen war, überholte ihn sein Kollege Hunger aus Liebertwolkwitz, der ebenfalls zur Fabrik wollte. Da Franz der Weg zu Fuß doch etwas zu lang war, bat er ihn, ihn bei Dr. Fehse zu entschuldigen, wenigstens so lange bis die Straßenbahn wieder ging, was er ihm auch versprach und so konnte er ruhig wieder umkehren, d.h. nach der Tauchaer Straße Nr. 10, wo sie sichich häuslich einrichten hatten. Zwei oder drei Tage später fuhr dann vom alten Theater wieder die Straßenbahn bis Bahnhof Leutzsch, von wo aus er den Weg zu Fuß durch den Wald zurücklegen wollte. Aber kaum war er in Leutzsch am Restaurant „Waldhof“ angekommen, ließ sich schon wieder die Luftsirene hören, sodass er im Straßenbahndepot in ein Häuschen eintreten musste und nach einer Viertelstunde erst weiter durch den Wald gehen konnte, trotzdem noch keine Entwarnung gegeben worden war. Im Wald zwischen dem Bahnhof Leutzsch und der Luppenbrücke flogen dann die Feindflieger über den Wald direkt über seinem Kopf, ohne jedoch etwas abzuwerfen, die Flugrichtung war direkt nach Südwesten. Er kam dann ohne weiteres am Restaurant „Zum Auensee“ vorbei bis ins Dorf vor der Kirche, wo sich die Sirene plötzlich wieder hören ließ und er gezwungen war, in das Gebäude einer kleinen Werkstatt einzutreten und zwar wieder solange, bis die Entwarnung ertönte. Dann endlich konnte er seinen Weg durch die Stahmelner und die Auenstraße fortsetzen, wo er dann glücklich gegen 11 Uhr anlangte und Dr. Fehse sprechen konnte. Nachdem Franz ihm mein Unglück erzählt hatte, frug er ihn dann, was er denn wolle, worauf Franz ihn bat, ihm von den Reklamegegenständen der Firma wenigstens einen Rasierapparat auszuhändigen, was er ihm dann auch durch Herrn Richter übergeben ließ mit einem Satz Rasierklingen, denn durch den Luftangriff war ihm doch alles verlorengegangen. Da die Straßenbahn von Wahren aus nur bis zur Möckernschen Kaserne fuhr, zog Franz es vor, wieder bis zum Bahnhof Leutzsch durch den Wald (3 km) zu laufen und dann vom Bahnhof Leutzsch bis zum Hauptbahnhof zu fahren. Die Leutzscher Strecke hat er dann solange benutzt, um nach Wahren zu kommen, bis die Wahrener Strecke soweit in Ordnung gebracht worden war, dass er von Wahren bis Gohlis und vom Nordplatz bis zum alten Theater fahren konnte, denn Gohlis war wieder einmal stark getroffen worden, besonders die Hallesche Straße vom Chausseehaus bis zur Lindenthaler Straße, die nicht so bald in Betrieb genommen werden konnte, da auch hier wie besonders in der Blücherstraße die starken Wasserleitungsrohre, die unter den Straßenbahngleisen lagen, schwer getroffen worden waren und ersetzt werden mussten. Erst nach und nach konnte die Strecke bis zum Yorkplatz wieder ausgebaut werden.

Die Luftangriffe ließen aber nicht nach und so mussten sie im Geschäft noch sehr oft in den Bunker oder in den Luftschutzkeller an der Ecke der Halleschen Straße, den Franz zuletzt bevorzugte, da er von dort aus schneller nach Hause kam. Die meisten Großstädte wie Magdeburg, Jena, Berlin, Dessau, Hannover, Braunschweig, Münster, Stuttgart, Dresden usw. waren bereits ebenso wie Leipzig in Ruinen verwandelt worden und trotzdem wurde vom Propagandaministerium aus immer noch vom Endsieg geredet. Zuletzt kam noch auf den Bahnhöfen die Reklame „Die Räder rollen“, was er eigentlich nicht richtig verstanden hat. Inzwischen waren Rosi und Annelene Hartung weiter gefahren zu der Martel in Wedderstedt und zurück nach Hamburg zur Mutter, die in Wentorf ins Marineamt gezogen war.

Gegen Ende Februar 1945 wurden auch Merseburg und Halle schwer bombardiert, sodass besonders Merseburg schwer getroffen und zu ¾ vernichtet wurde, während die Häuser, die sie bewohnt hatten am Markt 26 und in der Weißenfelser Straße, stehen geblieben sind.

Gleich nach dem Angriff am 27. Februar 1945 ist Franz, bevor er nach Wahren ins Geschäft fuhr, zur Feuerversicherungsgesellschaft gefahren, um sich zu erkundigen, ob er auf Ersatz oder Auszahlung der Feuerversicherung hoffen durfte. Wie vorauszusehen, zahlte die Versicherung nichts, sondern er wurde an das Amt für Wehrmachts-, Wehrwirtschafts- und Luftschutzangelegenheiten verwiesen und erhielt dann dort eine Betreuungskarte für den fliegergeschädigten Haushaltungsvorstand, während Frau Henkel eine solche Betreuungskarte B für Untermieter erhielt. Die Karten lauteten auf Vollbeschädigung laut eigener Angabe. Auf die Karte erhielt er von der Stadtkasse Leipzig, Amt für Kriegssachschäden am 13.3.1945 300 Reichsmark. Weitere Entschädigungen hat er von der Stadt Leipzig nicht erhalten.

Am 3. März 1945, also kaum 5 Tage nach dem schweren Angriff auf Leipzig, wo außer ihrem Haus und vielen Verlagshäusern auch die Druckerei und Verlagsanstalt der Leipziger Illustrieren Zeitung von Weber & Co und von Reklam nochmals getroffen worden waren, mussten sie in den Keller und da fielen die Bomben wieder in unmittelbarer Nähe in der Karlsstraße, wo mehrere Menschen in dem Luftschutzkeller getroffen wurden und starben. Da es hier in Leipzig keine Pappe gab, um die Fenster wieder abzudecken, musste Helenes Sohn Rudi nach Ballendorf bzw. Bad Lausick fahren, um etwas Abdeckpappe zu besorgen. Da seine sämtlichen Pläne und Landkarten verbrannt waren, hatte er zum ersten Mal Gelegenheit einen Plan von Leipzig bei seinem Buchhändler Max Rübe in der Gellertstraße für 75 Pf. zu kaufen. Er hatte das Glück, nicht getroffen zu werden, trotzdem die große Buchhandlung von Teubner gegenüber sowie der Laden des biochemischen Vereins und mehrere gegenüberliegende Häuser vollkommen vernichtet und ausgebrannt waren. Es war Franz also nicht mehr möglich, seine Pastillen zum Niederhalten seines hohen Blutdrucks aus dem biochemischen Verein zu bekommen und auch nicht von der homöopathischen Apotheke von Schwabe, weil auch diese Apotheke mit den ganzen Häusern der Querstraße, das Institut von F. A. Brockhaus einbegriffen, bis zum Erdboden niedergebrannt waren. Die Bombenflugzeuge hatten wirklich ganze Arbeit geleistet, aber die Partei nahm es auf sich, Deutschland ganz und gar vernichten zu lassen, denn an eine Rettung war nun, da die alliierten Truppen immer näher von Osten und von Westen nach Berlin rückten nicht mehr zu denken.

Am 3. März 1945, gerade als sie ins Bett gehen wollten, ging auf einmal die Klingel und beim Nachsehen, wer noch so spät zu ihnen kam, meldete sich Martel aus Dessau von unten herauf. Franz ging hinunter, um sie hereinzulassen und sie fiel ihm vor Freude gleich um den Hals, dass sie ihn noch lebend vorfand. Sie war, da sie von ihnen die Postkartennachricht noch nicht erhalten hatte, von Dessau trotz der schwierigen Bahnverbindungen nach Wiederitzsch gefahren, denn weiter fuhr die Bahn nicht, und war von Wiederitzsch teils gelaufen teils mit der Straßenbahn nach der Nr. 16 der Tauchaer Straße gefahren. Wo sie vor den Trümmern des Hauses, hat sie wohl laut geweint, in der Meinung ihre Mutter und er lägen im Keller bereits begraben unter den Trümmern. Nachdem Martel sie nun gefunden hatte, war natürlich die Freude doppelt groß. Vor 1 Uhr früh kamen sie wohl an dem Tag nicht ins Bett.

In diesem Monat gegen den 14. März wurde auch die Stadt Kolberg in Pommern von den Russen beschossen, wobei seine Schwiegermutter Marta Kuchenbecker, die dort in einem Altersheim untergebracht war, durch eine Granate oder eine Bombe verletzt worden ist und dann am 15. März verschüttet und gestorben ist, ohne, da alles in Brand geraten war, durch die Schwestern begraben zu werden, da alle flüchten mussten.

Da durch die letzten Angriffe auf Leipzig auch der Hauptbahnhof getroffen war, musste auch das Hotel Fürst Bismarck seine Räume schließen, weil ziemlich alle Fensterscheiben geborsten waren, wenn auch das Gebäude selbst wenig gelitten hatte. Da das Hotel geschlossen war, war auch die TVL gezwungen, ihre Sitzungen einstweilen auszusetzen, noch dazu, wo die Angriffe auf Mitteldeutschland und Berlin immer weiter gingen und sie sich bald alle Tage im Keller bzw. im Geschäft im Luftschutzkeller aufhalten mussten. So wurde z.B. am 7. März Leipzig wieder stark getroffen, wobei die Ostseite des Hauptbahnhofs getroffen wurde sowie das Hotel Continental, wobei sie im Keller der Nr. 10 der Tauchaer Straße saßen und jeden Augenblick dachten getroffen zu werden, als die Flieger über ihr Haus hinwegflogen und eine Frau mit ihren beiden Kindern sich lang auf die Erde auf den kalten Steinfußboden legte. Den Augenblick hat Franz wohl nie vergessen, denn es war schrecklich, wohl die schlechteste Stunde, die er jemals im Luftschutzkeller erlebt habe. Glücklicherweise flogen die Lufttorpedos glatt über die Dächer weg und trafen die Ostseite des Hauptbahnhofs und den Bahnhofsvorplatz.

Zu dieser Zeit ging es Lotte in Eisenach schon besser mit dem Bein, denn am 5. März konnte sie zum ersten Mal wieder aufstehen und brauchte nur noch 14 Tage in Gips liegen zu bleiben.

Leider wurde am 7. März auch Dessau so schwer getroffen, dass die Wohnung mit der Buchhandlung von Wetz stark beschädigt wurde und nicht mehr zu bewohnen war.

Am 8. März kam endlich Frau Bürger aus Lübben zurück, sodass sie die Wohnungsverhältnisse mit ihr regeln konnten. Vorläufig war ihr Untermieter aus der englischen Gefangenschaft noch nicht zurückgekehrt, sodass sie das Zimmer noch lange bewohnen konnten. Denn vorläufig war an seine Rückkehr wohl nicht zu denken. Franz zahlte für Zimmer und Essen an Frau Henkel 50 Mark pro Monat, womit Frau Henkel das Essen und Kochen besorgte und für Frau Bürger gleichzeitig mitkochte, wodurch sie sich gegenseitig ausglichen. Am 10. März erfolgte dann meine polizeiliche Ummeldung von der Nr. 16 in die Nr. 10 derselben Straße. Später mussten sie leider erfahren, dass der Schwiegersohn der Frau Henkel, Emil Wetz, am 11. März 1945 in Posen im Lazarett gestorben ist.

Helene und  Franz im März 1945: Leben in Wormstedt für 6 Monate

Durch den häufigen Fliegeralarm und den furchtbar deprimierenden Anblick der Ruinen hatte Frau Henkel die Lust verloren, noch länger in Leipzig zu bleiben. Und so entschlossen sie sich, da er ja nun pensioniert worden war, Leipzig auf einige Zeit zu verlassen und nach Wormstedt, in Helenes Heimat, zu fahren. Franz erledigte also am 28. März verschiedene Wege, nahm dann Abschied von den Kollegen und besorgte noch am gleichen Tag zwei Fahrkarten nach Niedertrebra unter Mitnahme von ungefähr 500 RM, ohne das Geld von Frau Henkel mitzurechnen, die wohl annähernd ebenso viel mitnehmen konnte. Am 29. März 1945 früh waren sie am Hauptbahnhof, nachdem sie von Frau Bürger vorher auf unbestimmte Zeit Abschied genommen hatten. Um 5.15 Uhr fuhr der Zug auch pünktlich ab. Sie trafen gegen 9.15 Uhr in Niedertrebra ein, von wo aus sie den Weg nach Wormstedt zu Fuß antraten, der ihnen von ihren früheren Fahrten hinreichend bekannt war und so kamen sie wohlbehalten gegen 11 Uhr glücklich in Wormstedt im Gasthof der Schwiegermutter von Alice an. Sie wurden von Alice, den beiden Kinder, der Schwiegermutter und der Schwägerin von Alice und deren beiden Mädels, Jutta und Doris, herzlich begrüßt. Zu Mittag gab es eine Reissuppe und darauf 2 Glas Bier. Dann ging es zu Cläre in die Brauerei und dann zu Martha, der Schwester der Frau Henkel, bei der Helene jetzt wohnen sollte, da im Gasthof nicht genügend Platz vorhanden war. Also wohnte Frau Henkel bei ihrer Schwester und Franz zusammen mit seiner Tochter Alice im Gasthof. Es ging eben vorläufig nicht anders. Während er im Gasthof übernachtete und gegen 80 Mark Pension pro Monat gut zu essen und zu trinken hatte, besorgte Frau Henkel bei ihrer Schwester die Küche und die nötige Hausarbeit während die anderen auf dem Felde waren. Während er nun im Gasthof mit Alice und seinen Enkeln früh den Kaffee einnahm mit Brot und eventuell Kuchen sowie das Mittagessen am gemeinsamen Tisch in der großen Küche dann auch mit Thekla, Lotte, ihren beiden Kindern und Otto, dem Kellner, trank er den Nachmittagskaffee meistens bei Schmidts, zusammen mit Frau Henkel und deren Schwester. Nur selten hat er bei Schmidts Mittag gegessen, da er bei Thekla in der Schänke doch in Pension war, sein Essen also im Voraus bezahlt hatte. Nachmittags besuchte er im Vorbeigehen meistens Cläre in der Brauerei sowie Herrn Welsbacher und dessen Frau Melita, eine Cousine von Frau Henkel, die in Darmstadt gewohnt hatten und nun, seit auch Darmstadt so schwer durch die Luftangriffe getroffen worden war, bei ihrer Schwester Cläre in Wormstedt wohnten und in der Wirtschaft halfen, indem auch hier Melita das Kochen usw. und Hermann Welsbacher nebenbei in der Wirtschaft mit half.

Am 31. März waren sogar Feindflieger über Wormstedt, wobei Weimar mit angegriffen wurde. Es hieß sogar, dass die Panzerspitzen der Amerikaner über Eisenach hinaus gekommen seien und die amerikanische Armee die Werra erreicht hätte. Auch wurden in Deutschland und Österreich die Städte wie Braunschweig, Brandenburg, Halle, Hamburg, Linz, Villach, Graz usw. aus der Luft immer wieder angegriffen und weiter zerstört.

Am Ostersonntag, den 1. April, hatte Lotte, die Schwiegertochter von Thekla, Geburtstag, und es gab zu Mittag Gans und Klöße, am Nachmittag dann Kaffee mit Kuchen und Torte und abends eine schöne Bowle, sodass hier vom Krieg nichts zu merken war, abgesehen von den Sirenen, die immer wieder hören waren.

Am 2. April 1945 wurde trotz des Krieges die Sommerzeit ab 2 Uhr früh wieder wie alle Jahre eingeführt, obwohl die Bauern sich kaum danach richteten, eher nach dem Wetter und der Sonne.

Am 3. April waren während der Nacht wieder Bombenflieger über dem Ort, während die Amerikaner zwischen Meiningen und Eisenach vorrückten. Auch musste man sich vor den Tieffliegern, die immer zahlreicher wurden, vorsehen. Wie Franz später von seiner Tochter Lotte erfuhr, hatten die Amerikaner am 30. Und 31. März Hersfeld besetzt, sodass man am Ostersonntag den Kanonendonner recht nahe hören konnte und die Gäste des Neulandhauses des Öfteren in den Keller gehen mussten. Trotzdem kamen die Amerikaner nicht direkt über Eisenach, sondern ließen die Stadt links und rechts vorläufig liegen. Erst vom 3. April anspürte man in Eisenach, dass die Stadt beschossen wurde. Es verging der 4. und 5. April in stetem gespanntem Warten. Manches Haus in der Stadt war getroffen und zerstört worden. Zuerst hatte es geheißen, Eisenach sei als offene Stadt erklärt worden. Dann kam die Kunde, ein SS-Trupp sei angekommen und sollte Eisenach als Festung verteidigen. Dann hieß es, der Oberbürgermeister sei mit seiner Familie abgereist, der Kreisleiter sei als Soldat ins Heer übergetreten. Dann wiederum sollte ein amerikanischer Parlamentär mit dem stellvertretenden Oberbürgermeister verhandeln und die Stadt zu übergeben. In der Nacht vom 5. zum 6. April punkt 12 Uhr veranlasste dagegen ein starker Kanonendonner alle Gäste des Neulandhauses in den Keller zu gehen. Es folgte noch ein solcher Schlag, war ruhig bis 3 Uhr früh, dann aber setzte das Bombardement ein. Die innere Stadt wurde eher geschont, die Geschosse richteten sich auf die Höhen, wo sie wohl die gegnerischen Batterien vermuteten.

Plötzlich krachte es furchtbar im Haus und die Fensterscheiben flogen heraus. Die anwesenden Herren konnten einige Brände in den Zimmern schnell löschen. Um 6 Uhr früh hörte dann das Bombardement auf und es zeigte sich, dass schwere Granaten ins Haus geflogen waren, wodurch große Löcher in den Böden der Zimmer entstanden waren. Auch der Balkon der Kunstgewerbestube war zerstört und die Balken verkohlt, ebenso der darüber liegende Balkon. Es waren Granaten von 15 cm Durchmesser, bei denen allerdings die Zünder fehlten und sie deshalb nicht explodiert waren. Es war noch ein großes Glück, dass das Haus als Ganzes noch stehen geblieben war. Die Schäden waren zwar groß, aber sie waren noch zu reparieren.

Es dauerte dann nicht mehr lange, bis sich die Amerikaner vor Apolda zeigten, und sie erhielten am 4. April vom Bürgermeister von Wormstedt den Befehl, die Parteitafel am Gasthof und alle Partei-Hoheitszeichen zu vernichten, woran Franz sich mit dem Kellner Otto Herold mit Hilfe eines Beils sofort daran machte und es dauerte nicht lange, so waren die Hakenkreuze und Parteibezeichnungen von der schwarzen Tafel abgeschlagen und entfernt.

Am 6. April erfolgte dann der letzte schwere Luftangriff auf Leipzig, wobei das Haus von Franz und Helene diesmal glücklicher Weise nicht noch einmal getroffen wurden, trotzdem auch bei diesem letzten Angriff, es war der 291., allerhand Trümmer durch Sprengschäden entstanden und Tote und Obdachlose zu beklagen waren. Außer Leipzig hatten ebenso Halle und Gera zu leiden.

Am 7. April hatten sie wieder Alarm, weil sich über Wormstedt Jäger gezeigt hatten, wobei sich in der Nähe eine Luftschlacht abspielte zwischen englischen und deutschen Fliegern und in der Nähe ein paar Flieger sogar ihr Leben lassen mussten. Sie erhielten an diesem Tag in Wormstedt die ersten Lebensmittelkarten, die Franz dann Thekla übergab, damit sie seine Lebensmittel wie Brot, Fleisch, Käse, Nährmittel usw. auch für ihn erhalten konnte.

Am 10. April zog aber zum letzten Mal deutsches Militär in Wormstedt ein und wollte sich im Gasthofsaal niederlassen und eventuell übernachten. Was die paar Soldaten eigentlich wollten, war keinem klar, denn an ein Aufhalten der anrückenden Amerikaner war doch nicht zu denken und das muss der Stab doch wohl auch eingesehen haben, denn sie zogen sich mit ihren Wagen im Laufe des Nachmittags in Richtung Saale zurück. Die Bevölkerung war darüber sehr froh, denn es hätte doch nur für das Dorf ein schlechtes Ende genommen.

Am 11. April wurde endlich in Apolda zum letzten Mal Luftalarm gegeben, wobei die Angriffe in Richtung Leipzig, Halle, Hettstedt, Weißenfels, Zeitz, Markranstädt und Merseburg erfolgten. Er war gerade mit Frau Henkel beim Bürgermeister gewesen, um wegen der Lebensmittelmarken noch verschiedenes zu erledigen, als er beim Überqueren der Straße nach Kösnitz einen starken Feuerstrahl von West nach Ost fliegen sah. Der Feuerstrahl wurde sicher durch eine nach Osten abgeschossene Granate hervorgerufen. Trotzdem er Frau Henkel bat, mit in den Keller des Gasthofs zu kommen, flüchtete sie über den Brauereihof zum Hause ihrer Schwester, um schnell nach Hause zu kommen, was ihr auch geglückt ist

Die amerikanischen Panzer kamen von Apolda die Straße entlang und schossen, da keine weißen Fahnen zu sehen waren, direkt auf Wormstedt, wobei eine Granate einen Bauernhof in Brand steckte und gleich darauf eine Granate durch den Kuhstall von Schmidts flog, ohne zu zünden oder ein Tier zu treffen und beschädigte nur das Dach der gegenüberliegenden Gebäude. Frau Henkel hatte sich inzwischen wohl in den Keller zu den anderen Familienmitgliedern retten können. Eine weitere Granate traf noch das Dach eines Nachbargebäudes.  Die Panzer kamen aber nicht direkt durch das Dorf, sondern fuhren weiter über Eckolstädt in Richtung Camburg. In Apolda war alles gut gegangen, der Bürgermeister hatte vor Eintreffen der Truppen die Schlüssel der Stadt dem betreffenden Befehlshaber der Truppen übergeben, worauf eine Beschießung der Stadt Apolda unterblieben war und die Flugzeuge in eine andere Richtung kommandiert worden waren. Von dem ersten Schreck hatten sie sich bald erholt und eine Unzahl von Panzern fuhr, von Apolda kommend, in östliche Richtung an der Nordseite von Wormstedt vorbei, ohne weiteren Schaden zu verursachen.

Am 12. April fuhren dann weitere amerikanische Panzer an Wormstedt vorbei, wobei einige in einer scharfen Kurve gegenüber dem Gasthof den Holzzaun des gegenüber liegenden Warenlagers der Lebensmittelzentrale umrissen, und weiter nach Camburg fuhren. Gegen 10 Uhr vormittags kamen dann Kanadier mit dem Gewehr unter dem Arm und sammelten Revolver und Pistolen ein, die noch im Besitz der Einwohner sein sollten. Als Franz bei Martha Schmidt war, gab sie ihm eine kleine Pistole mit Futteral von ihrem Mann. Er sollte sie auf dem Rückweg zum Gasthof abliefern. Der Kanadier mit dem Gummpriem im Munde wollte auch Munition haben, die er aber nicht hatte.  So begleitete er Franz zum Gasthof, wo er das Haus mit ein paar Soldaten durchsuchen wollte. Zuerst ging es in die vordere Wohnstube. Waffen waren keine mehr vorhanden. Im Schreibtisch, wo sämtliche Fächer geöffnet wurden, fand er eine Kiste mit Zigarren, die er an sich nahm, und sie wohl später an verschiedene junge Männer verteilt hat. Dann ging er hinauf zur Privatwohnung, wo er sich nicht lange aufhielt, da die Schlüssel nicht gleich zur Hand waren. Er besuchte nur noch den Tanzsaal und ging dann ohne weiteres zu untersuchen, nachdem er noch einen Blick in den vorderen Kaufladen geworfen hatte, wo aber keine besonderen Waren vorhanden waren. Dann ging er mit seinen Männern weiter durch das Dorf.

Für Franz und Helene war nun der Krieg vorbei. Die Nacht war ruhig, es gab kein Licht mehr und auch das Radio war still. Am nächsten Tag flogen oben eine große Anzahl Flieger in östlicher Richtung über das Dorf, während eine große Anzahl von Kanonen bis zum Nachmittag in Richtung Camburg durchfuhren. Nach 19 Uhr abends durfte nach einem Ausruf des Gemeindedieners niemand mehr auf  der Straße sein.

Am 14. April sollen die Amerikaner in Bischdorf, wo Frau Henkels Bruder Otto Lehrer war, gewesen sein, und Otto als Dorflehrer und Amtswalter gefangen genommen haben. Auch sollen in der Nähe von Merseburg Kämpfe stattgefunden haben.

Am 20. April 1945 erreichten die amerikanischen Truppen die Stadt Leipzig, wo sie auf wenig Widerstand stießen. Die Pittlerische Fabrik wurde schon am 19. April durch die Amerikaner besetzt, sodass von da an niemand mehr die Fabrik betreten konnte.

Beim Einzug der Amerikaner wollte aber Herr Schulte, der Einwohner aus der ersten Etage ihres Leipziger Hauses, bei Frau Bürger ein Maschinengewehr aufstellen, um auf die einrückenden Truppen zu schießen und Leipzig noch zu verteidigen. Glücklicherweise konnten die anderen Männer des Hauses diese Dummheit noch rechtzeitig verhindern. Von Berlin wurde nach der Übergabe der Stadt durch das Radio zwar von Goebbels gerufen: Pfui für Leipzig und pfui für Halle, die sich ohne Kampf ergeben hatten. Jedenfalls waren die Leipziger und die Hallenser froh, dass das Kriegsende fast ohne Kampf gekommen war. Die Amerikaner, die sich nun vom Atlantikwall, von Köln oder vom Rhein bis hierher durchgeschlagen hatten, hatten nicht viel zu tun, da sowohl das Militär als auch die Gestapo und alle Naziformationen das Weite gesucht hatten.

Der Oberbürgermeister von Leipzig Freyberg hat sich zuletzt, nachdem alles aus dem Rathaus geflüchtet war, mit seiner Frau und seiner etwa 18jährigen Tochter mit Zyankali umgebracht. Andere Stadtgrößen wie Dönicke, Strobel usw. wurden schließlich erschossen aufgefunden. Der Krieg war auch für Leipzig vorüber.

Sie lebten ruhig weiter in Wormstedt, während Rudi, sein Schwiegersohn, beim Abmarsch von Leipzig in Richtung Torgau und dann weiter nach Nordosten am 7. Mai mit seinen Kameraden durch die Russen gefangen genommen wurde und wohl bis gegen Ende 1948 in Gefangenschaft gehalten werden wird, wie vor kurzem bekannt gegeben worden war. Hoffentlich kommt er aber gesund und munter zurück, da es ihm, wie er schreibt bis heute (1947) einigermaßen gut gegangen ist, was sie auch wünschen.

Durch Wormstedt kamen des öfteren ausländische Arbeiter z.B. Holländer und Franzosen, die nach der Heimat zurück liefen. Drei Holländer aus Böhlen bei Leipzig fuhren z.B. per Rad nach Rotterdam und Utrecht, denen Franz Nachrichten an seine Cousine nach Vacht und seinen Cousin nach Eindhoven mitgegeben hat. Auch an Lotte hatte er Gelegenheit, einen Brief durch einen Berliner mitzugeben. Franzosen hat er ebenfalls Briefe mit nach Brüssel gegeben, obwohl er nicht daran glaubte, dass sie ihren Adressaten erreichten, trotzdem er die Betreffenden freigehalten hat, Denn sein Freund Pierre Flammand und seine Cousine in Holland haben, wie sie später schrieben, keine Nachricht von ihm erhalten.

Am 17. April sollen die Russen schon in Dresden gewesen sein und die Elbe überschritten haben. Die Russen und die Amerikaner sollen sich um den 20. April in Berlin vereinigt haben. Auch Stettin ist durch die Russen eingenommen worden. Am 25. April trafen sich die Amerikaner und die Russen bei Torgau, wo sie aber erst die Brücke wieder in Stand setzen mussten, um sich die Hände reichen zu können. Hier hatte die Vereinigung der West- und Ostarmeen stattgefunden. Von München bis herauf nach Stettin war Deutschland von Süden nach Norden durch die alliierten Truppen besetzt, wobei Hitler mit einigen Getreuen sich in Berlin immer noch verteidigen wollte.

In Wormstedt wurde um diese Zeit viel gestohlen und vernichtet  wahrscheinlich durch die Polen, die von den Amerikanern unterstützt wurden. Z.B. wurde das Auto der Brauerei mit mehreren Kugeln durchschossen und somit unbrauchbar gemacht. Besonders Frau Thierrolf hatte unter den Diebereien sehr viel zu leiden, denn alle Wochen wurde das Vieh gestohlen, trotzdem sie alle Nächte die Lampen brennen ließ, denn der Strom war inzwischen wieder da. Später stellte sich aber auch heraus, dass ihre Untermieter an den Diebstählen beteiligt waren. Auch Bierfässer sind gestohlen worden. Bei Schmidts dagegen wurden öfters Eier und Hühner requiriert.

Am 1. Mai zahlte Franz zum ersten Mal sein Pensionsgeld von 80 Mark, das Thekla nicht annehmen wollte. Zuletzt ging sie darauf ein und er zahlte dasselbe wie die Frauen Stumpf und Godesberg, die schon längere Zeit in Wormstedt im Gasthof wohnten und mit denen er immer gut ausgekommen ist. Besonders die ältere Schwester hat ihn sehr gut versorgt, während es ihm gesundheitlich nicht gut ging, und besonders nachdem er zwei Mal in der Gaststube durch zu schnelle Bewegungen ausgerutscht und wiederholt auf den linken Arm gefallen war, wodurch er durch einen Bluterguss den Arm kaum bewegen konnte. Zu Mittag hat sie ihm öfters das Essen ans Bett gebracht, ebenso früh den Kaffee mit den Broten, wofür er ihr sehr dankbar war. Nachmittags ist er dann immer aufgestanden und hat unten Kaffee und Abendbrot eingenommen. Sonst ging er vormittags regelmäßig zu Schmidts herüber, um Frau Henkel zu besuchen, die immerzu mit dem Kochen zu tun hatte, wobei er unterwegs in der Brauerei Frau Cläre Thierolf und Hermann Welsbucher aus Darmstadt mit seiner Frau Melitta besuchte, um aus der Bibliothek von Willy Bücher oder Reiseführer auszuwechseln, die er dann nach und nach ausgelesen hat.

Am 2. Mai erfuhren sie, dass Hitler sich im Reichskanzlerpalais am Wilhelmsplatz in Berlin das Leben genommen hatte zusammen mit seiner Braut, die er vorher geheiratet haben soll. Jedenfalls hat er sich, wie die meisten, die die große Schuld an dem unglücklichen Krieg trugen, nicht gefangen nehmen lassen wollen durch die siegreichen sowjetischen Armeen, die bereits seit dem 23. April in Berlin gegen die Hitlerarmee kämpften.

Am 7. Mai 1945 erfolgte dann die deutsche Kapitulation in Reims früh 2.40 Uhr in einem Schulgebäude und am 9. Mai feierten die Alliierten den Siegestag in London. Der Terror der nationalsozialistischen Partei hatte endlich ein Ende gefunden und die Hauptschuldigen an diesem Kriege wurden später in Nürnberg zum Tode verurteilt, außer Hitler gelang es noch Goebbels und Göring sich, bevor sie durch den Strang hingerichtet werden sollten, mit Gift das Leben zu nehmen.

Leider hatte Alice in Wormstedt Sorgen um die kleine Helga, die nicht so richtig zunehmen wollte, sodass sie mehrmals egal bei welchem Wetter mit ihr nach Apolda gefahren ist, um Helga bei der Ärztin untersuchen zu lassen. Ob es an der Nahrung lag oder an was sonst, konnte nicht festgestellt werden. Jedenfalls hat Helga später, als Alice wieder in Leipzig war, ihr Normalgewicht erreicht und ist ganz gesund geworden. Da Alice durch ihre Nachbarin, Frau Weber, erfahren hatte, dass die Gefahr bestand, dass ihre Wohnung durch das Wohnungsamt anderweitig vergeben werden sollte, fuhr sie am 28. Mai zusammen mit einer Bekannten aus Wormstedt mit dem Rade nach Leipzig, fand aber in Leipzig-Lindenau alles in bester Ordnung. Nach Rücksprache mit dem Wohnungsamt kam sie mit dem Rade am 31. Mai zurück, war aber gezwungen, in Camburg in der Schule zu übernachten, weil es dunkel geworden war, und so musste sie in Begleitung der Frau die Nacht in der Schulklasse verbringen und durfte erst am anderen Tag weiter fahren.

Am 2. Juli 1945 marschierte die sowjetische Armee in Leipzig und die amerikanische Armee zog sich nach Westen zurück. Es war jedenfalls in Potsdam ausgemacht worden, dass die Russen Deutschland bis zur Werra und bis zum Harz besetzen sollten und die Amerikaner und Engländer Mecklenburg, bis zur Elbe und die Provinz Hannover besetzen sollten, sodass sie damit rechnen mussten, hier in Thüringen eine russische Besatzung zu erhalten, was dann auch am Nachmittag des 3. Juli erfolgte. Die russischen Truppen kamen von Camburg her durchmarschiert, wobei sich ein Musikcorps vor den Gasthof stellte und dauernd spielte. Der Durchmarsch dauerte mindestens 3 bis 4 Stunden, wobei Franz feststellen konnte, dass die Soldaten sehr ungleichmäßig liefen und auch müde zu sein schienen. Jedenfalls war es mit der Ordnung unter den Truppen nicht weit her, wo sie an den preußischen Drill gewohnt waren. Dicht hinter Wormstedt in der Nähe der Windturbine wurde dann wohl biwakiert unter Zelten und Planen. Wie es dort am anderen Morgen ausgesehen hat, wo tausende von Soldaten übernachtet haben, kann man sich wohl denken. Überall Schmutz und Kot. Am anderen Tag ging es dann weiter nach Westen über Apolda nach Erfurt, Gotha und Eisenach bis zur Werra, wo dann die sogenannte russische Besatzungszone aufhörte und die amerikanische Zone begann. Etwas nördlicher bei Hanoversch Gmünden und Göttingen nach Goslar und Braunschweig  zu waren die Länder durch die Engländer besetzt. Die Einteilung von Deutschland in vier Zonen zwischen Russland, den Vereinigten Staaten, England und Frankreich war also vollzogen worden, wobei das Land östlich der Oder und der Lausitzer Neiße außer des nördlichen Teils von Ostpreußen einschließlich Königsberg, dass ebenfalls durch Russland besetzt wurde, unter polnische Verwaltung kam. Das war also nun Hitlers Werk. Anstatt ein großes geeinigtes Deutschland ein zerrüttetes Deutschland ohne Ostgebiete und ohne eigentliche Regierung abhängig von der Gunst der Alliierten, wobei Holland, Belgien und Frankreich sich noch Grenzteile im Rheinland zu sichern versuchten.

Seit dem 7. Juli 1945 wurde auch schon die russische Sommerzeit in Thüringen eingeführt, sodass die Uhren gegen die normale Zeit um 2 Stunden vorgestellt werden mussten, wenn man mit der Eisenbahnzeit gehen wollte.

Seit dem 1. Juli hatte Franz früh von 10 bis 12 Uhr eine Stunde Schulunterricht eingeführt, da die Kinder immer noch keine Schule besuchen konnten und in Schreiben, Lesen und Rechnen ziemlich weit zurück waren. Außer den beiden Mädels Doris und Jutta aus der Schenke beteiligten sich noch die Kinder von Schmidts, Walter und Christel daran. Auch die Frau Sturm übernahm einige Kinder aus der Brauerei. Es wurde also abwechselnd gelesen, geschrieben und gerechnet, was so lange ging, bis die Lust bei den Kindern nachließ und bald darauf die Schule durch die Lehrerin wieder eröffnet werden konnte. Am 15. Juli war in der Familie ein großer Festtag, denn da wurde die kleine Helga in der Wormstedter Kirche getauft, wozu Franz 20 Mark spenden konnte. Persönlich konnte er der Taufe nicht beiwohnen, weil er das Bett mit einem Umschlag um den Arm hüten musste. Gegen Ende des Monats Juli erhielt Alice auch zum ersten Mal eine Nachricht von ihrem Mann Rudi aus Posen durch einen Heimkehrer in Altengönna. Alice ist auch dorthin gefahren mit dem Rade und konnte wohl erfahren, dass es Rudi soweit gut ging und er gesundheitlich nicht zu leiden hatte. Der Mann war entlassen worden,weil er krank war und überbrachte die mündlichen Grüße von Rudi. Weiter konnte sie wohl auch nichts erfahren, war aber doch froh, endlich einmal eine Nachricht erhalten zu haben.

Die Post ging aber immer noch nicht, sodass er mit Lotte und seinen Leipziger Bekannten nur durch Leute aus Wormstedt in Verbindung bleiben konnte, so z.B. mit seiner Tochter Lotte durch die Bereitwilligkeit des Polizisten Fix, der mit dem Rade nach Eisenach fahren wollte und durch die Bäckers­tochter, die zufällig nach Leipzig kam und eine Karte für Herrn Leppert mitnehmen konnte.

Am 7. Juli 1945 besuchte ihn ein gewisser Herr Rosenkranz, der des Öfteren nach Wormstedt kam und der für ihn einige Briefe nach Leipzig mitnehmen und einen Brief an Herrn Direktor Paul persönlich übergeben wollte, wodurch Franz die Gelegenheit hatte einmal zu fragen, wie es nun eigentlich mit der Auszahlung seiner Pension bei der Firma Pittler stand. Da erhielt er am 2. August durch Herrn Rosenkranz die Antwort, dass in Leipzig allerhand los sei, aber Franz solle deshalb die Hoffnung nicht aufgeben. Wegen der Pension teilte wurde Franz mitgeteilt, dass die Firma die Pensionen ab 1. Mai allgemein auf die Hälfte hatte heruntersetzen müssen, da die Möglichkeiten des Verkaufs der Erzeugnisse außerordentlich eingeschränkt seien. Die Firma hoffte aber, dass es sich in dieser Beziehung bald bessere und ihm stehe ein entsprechender Betrag, wenn er vorbeikäme, zur Verfügung. Leider hat sich die Sache nicht zu seinen Gunsten erfüllt wie sich später herausstellte.

Wie sie erfahren haben, ist der Sohn Rudi von Frau Henkel in Ballendorf bei Bad Lausick nach dem Einzug der Amerikaner zum Bürgermeister ernannt worden, trotzdem er gar keine Erfahrung hatte in einem solchen Amt. Er ist es auch nur so lange geblieben, bis die kommunistische Partei die Mehrheit der Stimmen hatte. Beim Sieg der liberalen Partei im Dorfe musste er wieder zurücktreten und sein Amt als Bürgermeister der anderen Partei abgeben.

Am 13. August 1945 wollte Franz bei der Post 50 oder 100 Mark von seinem Postsparbuch abheben. Leider war das nicht mehr möglich, da die Sparkasse in Wien nicht mehr auszahlen konnte, da sie auch bei der Post gesperrt – oder wie man so sagt – eingefroren waren.

In dieser Zeit erfuhr Franz auch, dass bei der Firma Pittler 4 Mann abgeführt worden waren, darunter auch Herr Michael, der ihn zuletzt noch dazu bringen wollte, beim Betreten der Fabrik mit Heil Hitler zu grüßen. Am 16. August tauchte plötzlich Frau Weber auf, die Nachbarin von Alice im Parterre, um ihr mitzuteilen, dass die Wegnahme der Wohnung in Lindenau wieder akut geworden sei. Und so war Alice gezwungen am 17. August mit Frau Weber nach Leutzsch zu fahren. Leider fuhr der Autobus nicht, weil der Wagen wieder einmal in Reparatur war und so mussten sie mit dem Wagen nach Niedertrebra gebracht werden, um den Zug noch zu erreichen. Es war immer eine langweilige Fahrt von Naumburg aus über Teuchern nach Weißenfels, wo umgestiegen werden musste, weil ja die Brücken über die Saale zwischen Naumburg und Weißenfels von den zurückweichenden Deutschen stark beschädigt worden waren. Von Weißenfels aus fuhren dann direkte Züge nach Halle und Leipzig. In Leipzig-Lindenau  konnte Alice jedenfalls die Angelegenheit mit der Wohnung wieder gut erledigen, denn am 20. August kam sie schon mit Frau Weber wieder gegen 17 Uhr zurück. Jedenfalls war Alice gezwungen, nach Leipzig-Lindenau zurückzukehren, wenn ihr die Wohnung durch das Wohnungsamt nicht weggenommen werden sollte. Denn am 21. August fuhr sie zusammen mit Frau Henkel nach Leipzig, die auch wieder einmal nach dem Rechten sehen und auch zu ihrer Tochter nach Wedderstedt wollte. Frau Henkel hatte die Absicht, in Leipzig Frau Bürger zu besuchen, um sich nach unserer Wohnung zu erkundigen und dann nach Wahren zur Fabrik zu gehen, um seine Pensionsgelder zu holen und dann über Wedderstedt und Halle zurückzukommen. Der Frau Bürger nahm sie wohl einige Lebensmittel mit, da es in Leipzig sehr knapp zuging, und Elfriede sehr über Hunger geklagt hatte. In der Pittler-Werkzeugmaschinenfabrik hat sie wohl mit Herren Paul und Sommer gesprochen und hat das Geld 206,40 Mark für die Monate April und Mai und 140 Mark für Juni und Juli, also zusammen 346,40 Mark vom Kassierer erhalten. Dabei wurde erwähnt, dass das Geld für die Pensionen von der Direktion zurückgestellt worden sei, damit es nicht in die Hände der Amerikaner gerate, und wie es nun später werden würde, wussten die Herren selbst nicht, da das Werk durch die amerikanische Armee besetzt worden war. Die alte Direktion mit Herrn Dr. Fehse und Herrn Will an der Spitze sowie die Konstrukteure Fritz Müller vom Maschinenbau und einige andere Herren waren von den Amerikanern nach dem Westen in der Nähe von Frankfurt am Main befördert worden.

Franz war jedenfalls vorläufig froh, seine ersten Pensionsgelder durch den Besuch der Frau Henkel in Leipzig-Wahren erhalten zu haben. Am 22. August kam Alice mit der Frau Weber aus Leipzig zurück, während Frau Henkel vom 23. bis 24. August bei Martel in Wedderstedt geblieben war.

Beim Umsteigen in Teuchern traf sie dann auch Alice und Frau Weber mit den drei Kindern, die von Niedertrebra aus unterwegs war nach Hause. Wenn die Fahrt mit den drei Kindern besonders beim Umsteigen in Teuchern, wo sie mit dem Kinderwagen zu den russischen Soldaten einsteigen musste, auch nicht gerade angenehm war, so sind sie doch alle glücklich in Leutzsch angekommen und Alice konnte wenigstens wieder Besitz nehmen von ihrer Wohnung. Am Tage vor der Abfahrt, Helga hatte am 23. August gerade Geburtstag, da wurde Alice abends gegen 11 Uhr telephonisch aus dem Bett gerufen, um von Lotte in Eisenach die Glückwünsche für Helga entgegen zu nehmen. Auch die Oberin des Neulandhauses, die bei der Helga Patin war, ließ herzlichst grüßen und wünschte alles Gute.

Am 27. August erhielt Marie Schmidt zum ersten Mal Nachricht von ihrem Mann Fritz, der seit 1945 in russischer Gefangenschaft war durch einen Rückkehrer aus Jena, der Grüße von Fritz zu übermitteln hatte. Am gleichen Tag hatte auch Japan den Krieg verloren und das Land wurde durch 10000 Amerikaner besetzt. Da die Post wieder in Betrieb gekommen war, konnten sie beliebig oft mit Leipzig, Eisenach von Ende August ab schreiben, während man bisher nur durch Wanderer und Bekannte, die zufällig nach Leipzig, Berlin oder Eisenach reisten, miteinander schreiben konnte und immer nicht sicher war, ob die Briefe richtig abgeliefert wurden.

Am 14. September hatte Franz die Absicht nach Eisenach zu fahren, um Lotte zu besuchen, musste aber davon absehen, weil die Bahnfahrt zu schwierig geworden war und für ihn allein zu gefährlich werden konnte. Dafür kam Martel aus Wedderstedt nach Wormstedt, um ihre Freundin in Pfuhlborn zu besuchen, und wenn möglich, auch etwas von hier mitnehmen zu können.

Inzwischen war Alice mit Frau Weber wieder in Wormstedt gewesen, um Kartoffeln zu holen, da es in Leipzig mit der Lebensmittelzuteilung sehr schlecht stand. Mit gefüllten Rucksäcken fuhren die beiden dann nach Leutzsch zurück.

Inzwischen war der alte Bürgermeister durch die Russen abgesetzt worden, weil er früher Mitglied der Partei war und durch einen anderen Bauern ersetzt worden, der keiner Partei angehört hatte.

Auch im Monat Oktober kam Alice noch einmal, um etwas zu holen, mit der Frau Weber von Camburg her und fuhr am 10. Oktober mit dem Lastauto des Herrn Höltz aus Naumburg, der zufällig Kohlen gebracht hatte für den Gasthof und das Dorf über Camburg bis Naumburg zurück, um dann mit der Bahn wieder nach Leutzsch zu gelangen.

Am Gewicht hatte Franz in Wormstedt nicht viel abgenommen, denn beim Nachwiegen betrug sein Gewicht mit Sachen immer 67 gegen 68 kg im Monat Juni. Am 9. Oktober 1945 hatte er wohl zum letzten Mal Gelegenheit, mit holländischen Soldaten zu sprechen, die aus Livland zurückkehrten und nach Holland unterwegs waren. Am 18. Oktober fuhr Frau Henkel mit ihrer Schwester nach Jena zu fahren, um bei ihrem Bruder Adolf, den Geburtstag von Alma, der Fleischersfrau, zu feiern. Erst am 20. Oktober kamen die beiden aus Jena zurück und zwar sehr zufrieden gestellt, denn beim Fleischer gab es doch immer etwas Gutes zu essen und ganz besonders in Jena. Das Haus in der Dornburger Straße ist glücklicherweise wenig beschädigt worden durch die Fliegerangriffe, trotzdem die innere Stadt fast vollständig demoliert worden war durch die vielen Bombenangriffe gegen die Zeisswerke und die Schottwerke.

Am 20. Oktober teilte ihnen der neue Bürgermeister von Wormstedt mit, dass bis zum 15. November alle Leipziger oder sächsischen Einwohner zurückzukehren hätten, wenn sie das Wohnrecht in Sachsen nicht verlieren wollten und sie sollten sich ebenfalls so einrichten, dass sie bald wieder nach Leipzig zurück kämen, da die Gemeinde ihnen nicht länger die Aufenthaltsgenehmigung erteilen könnte.

Durch Rose von der Gönne aus Bischdorf erfuhren sie, dass Frau Henkels Bruder Otto sich in Cherbourg in der Normandie in Gefangenschaft befand. Der arme Schwager, der wie so viele andere mit Hitlers Sieg gerechnet hatte. Da er Lehrer und politischer Leiter war und im Sinne der Partei die Klasse geleitet hat, wird er sich wohl schwer wieder umstellen können, trotzdem auch er nur das Beste gewollt hat. Vielleicht wird er aber durch die inzwischen erfolgten Aufklärungen sich doch umgestellt haben, sodass er wieder entnazifiziert werden kann, denn er hat sicher nur das Beste gewollt und ist ebenfalls wie so viele andere durch die schönen Reden der Parteigenossen, die er leider auch vertreten und geglaubt hat, irregeführt worden.

Nach einer nochmaligen Rücksprache mit dem Bürgermeister schien es nicht möglich, noch länger in Wormstedt zu bleiben, da das Dorf selbst aus dem Osten ausgewiesene Einwohner aus Schlesien aufzunehmen hatte. Sie richteten sich also ein, Wormstedt zu verlassen und ließen durch das Auto des Herrn Holz in Naumburg je 1 Zentner Kartoffeln und 2 Säcke Gemüse verladen an die Adresse seines Freundes Felix Müller in Leipzig-Lindenau, Lützner Straße, der Franz versprochen hatte, die Säcke weiter zu befördern mit dem Elektrokarren an Alice, an Frau Bürger, wofür er einen Sack Kartoffeln und einen Sack Möhren für sich nehmen konnte gegen Bezahlung natürlich. Die Säcke sind dann später, als sie in Leipzig waren, auch richtig angekommen und verteilt worden.

Ende Oktober besuchten sie noch Ernst aus Leipzig und Erich aus Berlin auf der Suche nach Lebensmitteln. Erich konnte ein Paket von Thekla, der Schwiegermutter, für Alice mit nach Leipzig nehmen. Auch Martel war aus Wedderstedt wieder da bei Schmidts, um etwas zu holen.

Am 4. November aß Franz am Sonntag auch zum letzten Mal Gänsefleisch mit Klößen, denn es war klar, dass sie in Leipzig nicht sogleich wieder eine Gans erhalten würden.

Von Welsbäcker erhielt er noch ein schönes holländisch-deutsches Wörterbuch, das er später sehr oft benutzt habe.

Nachdem ihnen der Bürgermeister am 12. November 1945 die Abmeldungsscheine ausgestellt hatte, fuhren sie  nach Niedertrebra, wo der Zug um 12.45 Uhr abfahren sollte und nahmen zwei Fahrkarten III. Klasse direkt nach Leipzig Hauptbahnhof. Der Zug war voll besetzt, sodass Franz kaum einen Sitzplatz in einem alten III. Klassewagens mit zerbrochenen Fensterscheiben erhalten konnte. Nur durch die Höflichkeit eines Soldaten konnte er sich gerade noch hinsetzen bis Weißenfels, wo sie umsteigen und ziemlich lange warten mussten, bis der Zug nach Leipzig abfuhr. Hier bekam er mit Frau Henkel einen guten Sitzplatz. Sie kamen ziemlich pünktlich in Leipzig an und, während Frau Henkel vorwegging, lief er allein mit einem Päckchen hinterher, das ein kleines Huhn enthielt, das er unterwegs bald verloren hätte, denn der Kopf und der Hals des Hähnchens hingen heraus, sodass ihm am Kristallpalast eine Frau sagte, „sehen Sie sich vor, dass ihnen die gak-gak nicht weggenommen wird. Denn so etwas bekommt man hier in Leipzig nicht“. Franz steckte den Hals so gut es ging wieder in das Paket und ging eben weiter, denn er merkte schon, wie schwer es ihm das ungewohnte Laufen vom Bahnhof bis zur Wohnung in der Tauchaer Straße Nr. 10 II fiel und war sehr froh, als er endlich dort war.

Frau Henkel war natürlich schon lange eingetroffen und hatte Frau Bürger schon begrüßt und war beim Auspacken. Sie bekamen ihr schönes Zimmer mit dem großen Schreibtisch und den zwei großen Betten mit ihren geretteten Bettbezügen. Während Frau Henkel wieder die Küchenarbeit und Frau Bürger das Saubermachen und die anderen Hausarbeiten übernahm. Franz konnte sich nun nach einer Abwesenheit von 6 ½ Monaten am Schreibtisch wieder einrichten. Zuerst ging er zur Polizeiwache, um sich wieder anzumelden, was eigentlich nicht nötig war, weil er nicht abgemeldet worden war. Er musste jedoch die Scheine für die Polizei ausfüllen, um die Zuzugsgenehmigung für Leipzig zu erhalten, da er und Frau Henkel nicht mehr das Recht hatten, in Leipzig zu wohnen, weil sie 6 ½ Monate abwesend gewesen waren. Er stellte für Frau Henkel und sich also einen Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung für die Stadt Leipzig, mit der Angabe, dass sie, weil sie Wormstedt bis zum 15. November 1945 Thüringen zu verlassen hatten und doch in Leipzig polizeilich gemeldet und ansässig waren und in Wormstedt nur zu Besuch gewesen seien.

November 1945: Franz und Helene wieder in Leipzig

Da Franz als Holländer registriert war, musste er sich gleich nach seiner Rückkehr aus Wormstedt auf der russischen Kommandantur in der Döllnitzer Straße melden, wo er 1 ½ Stunde auf einen Passierschein warten musste und dann zu der Gültigkeit seiner Einbürgerung als Deutscher die Auskunft erhielt, er solle sich in der Denkmalsallee am Völkerschlachtdenkmal melden. Da die betreffende Kommandantur in Stötteritz lag hat er sich vorläufig nicht registrieren lassen. Bald darauf hat er nach dem holländischen Konsul gesucht, dessen Büro sich im Brühl bei Thorer befinden sollte, konnte aber nur das schwedische Konsulat entdecken, denn einen holländischen Konsul gab es noch nicht. Dann ging es zum Polizeiamt in der Wächterstraße, um sich nach seiner Staatsangehörigkeit zu erkundigen und wurde vom Zimmer 133 für ausländische Angelegenheiten zum Wahl- und Listenamt in der Otto-Schill-Straße geschickt, wo eine Dame ihm mitteilte, dass er auf Grund seiner Naturalisation Deutscher bleiben könnte, da Deutschland niemanden auswies. Nur wenn er Holländer bliebe, könnte es ihm möglicherweise passieren, dass er nach Holland zurückgeschickt werde. Franz entschloss sich vorläufig Deutscher zu bleiben, da er in Holland keine näheren Familienangehörigen hatte außer der Cousine Anna in Vught, den Cousin Hermann in Eindhoven und den Onkel in Balen, die er bei seiner letzten Reise im Jahre 1938 erst kennengelernt hatte. Die ganzen Angelegenheiten wie Staatsangehörigkeit, Sparkasse usw. waren so unsicher, dass er es nun lieber abwarten wollte, wie sich das Leben in Deutschland entwickeln würde.

Am 30. November 1945 fuhren wir Franz und Helene in die Wächterstraße zum Polizeipräsidium, um die Aufenthaltsgenehmigung für Leipzig zu erhalten, was sich als bedeutend schwerer erwies, als sie angenommen hatten. Durch einen  Polizisten wurde ihnen geraten, sich  beim Polizeipräsidenten Wagner zu melden der eher geneigt sei, ihnen die Genehmigung zu erteilen als die anderen Beamten, wenn er sich überzeugen konnte, dass Franz mit dem Laufen und Reisen Schwierigkeiten hätte. Leider war der Präsident nicht anwesend, sodass sie ca. 1 ½ Stunden warten mussten, bis sie endlich an die richtige Stelle kamen. Die betreffende Meldedame hatte sie inzwischen ganz vergessen zu melden, denn als Franz nochmals nachfragte, wurden sie gleich vorgelassen. Der erste Herr konnte oder wollte die Genehmigung nicht ausstellen, denn er schickte sie in ein anderes Zimmer, zu einem Herrn Müller, ein Verwaltungsangestellter, der ihnen mitteilte – nachdem er sie genügend ausgefragt hatte – dass er die Aufenthaltsgenehmigung nicht ausstellen könnte, und sie nach Wormstedt zurückfahren sollten, da die Stadt Leipzig niemanden mehr aufnehmen konnte. Er gab ihnen den Zettel vom  Wormstedter Bürgermeister zurück mit einem Brief an diesen, worin das Leipziger Polizeipräsidium alle Landräte und Bürgermeister der Orte, in denen evakuierte Leipziger Familien oder Einzelpersonen Aufnahme gefunden hatten, bittet, diesen Personen bis 1946 weiterhin Gastrecht zu gewähren. Es wird darum gebeten Herrn Franz van Himbergen und Frau Helene Henkel in Wormstedt weiterhin Unterkunft und Verpflegung zu gewähren. Franz wandte zwar ein, dass er in Wormstedt keine Stellung annehmen könnte und, dass er, da er in Leipzig durch den Luftangriff doch alles verloren hätte, etwas verdienen müsste, um weiter leben zu können. Frau Henkel schimpfte, sie seien doch keine Nazis, worauf der Herr Müller erwiderte, dass das heute jeder sage und forderte sie auf ihr ihren Ton zu mäßigen. Kurz und gut, nach einigen Überlegungen gab ihnen der Herr Müller einen Zettel und schickte sie ins nächste Zimmer zu einer Sekretärin, die ihnen dann ohne weiteres je eine Aufenthaltsgenehmigung für Leipzig zum Preise von je 2 Mark mit dem Datum des 30. November 1945 für die Wohnung Rosa-Luxemburg-Straße 10 ausstellte. Sie hatten also, obwohl der Zuzug nach Leipzig so schwierig war, die Genehmigung nach einer schweren Sitzung im Polizeiamt erreicht und konnten in der Stadt bleiben sowie die Lebensmittelkarten erhalten, was in diesen Zeiten die Hauptsache war.

Am 10. Dezember konnte Franz seinen Geburtstag wieder in Leipzig feiern, wenn auch in bescheidenem Rahmen mit Frau Henkel, Frau Bürger, Alice und den beiden älteren Kindern. Auch Suse und Otto Kuntze aus Neu-Gohlis waren nachmittags anwesend. Außer einem Buch von Lotte aus Eisenach erhielt er noch ein Thermometer und 2 Hemden, die er gut gebrauchen konnte.

Am 31. Dezember 1945 feierten sie zu Hause bei der Frau Bürger Silvester mit der Freundin Cläre und ihrem Mann Hermann, wobei Skat gespielt und zwei Flaschen Wein sowie eine Flasche Likör getrunken wurden. Es war der erste Silvesterabend, den sie seit 6 Jahren wieder in Freude erleben konnten, ohne Bombenangriffe und Kriegsgetöse.

Am 2. Januar 1946 war der Untermieter der Frau Bürger aus der englischen Gefangenschaft aus Bremen zurück gekommen, sodass sie sich nun einigen mussten, wer in welchem Zimmer leben sollte, da Franz und Helene das Zimmer des Herrn Pollak bewohnten, seit ihr Haus den Bomben zum Opfer gefallen war.  Vorläufig nahm der Herr das große vordere Zimmer, sodass sie das von ihnen bewohnte Zimmer behalten konnten.

Am 9. Januar schrieb Franz an die Karlsruher Lebensversicherung AG mit der Bitte ihm zu bestätigen, dass sie seine beiden Lebensversicherungen, die in den Jahren 1941 und 1943 abgelaufen waren, der Sparkasse der Stadt Leipzig am 30 August 1931 und am 9. Juni 1942 mit den Summen 4816,80 und 5288,45 RM überwiesen hätten. Die Antwort war aber abschlägig, denn da hieß es, die Lebensversicherung 698930 betreffend, dass die im Gebiet der russischen Besatzungsmacht laufenden Versicherungen zur Zeit ausnahmslos den von den einzelnen Länderregierungen oder anderen Behörden dort erlassenen Vorschriften und Bestimmungen unterworfen seien. Auf sein Verlangen ging die Gesellschaft also gar nicht ein. denn die Gelder sollten doch der Ersatz für seine Altersversicherungen, die er bezahlt hat und die jetzt auf der Leipziger Sparkasse eingefroren sind.

Im Monat Januar hat Franz fleißig französisch studiert, um eventuell Französischunterricht geben zu können, falls seine Pension wegfallen sollte.

Am 28. Januar 1946 konnte auch Frau Henkel ihren Geburtstag ohne Bombenangriffe und Kriegslärm feiern mit ihren Freundinnen und ihren Söhnen. Von auswärts war niemand da, weil die Bahnverbindungen doch noch zu schwierig und unsicher waren. Der Tag wurde mit einem von ihr so heißgeliebten Skat beendet werden.

Von seinem Freund Broßmann, der von Charlottenburg nach Nesselwang in Oberbayern geflüchtet war, bekam Franz ein kleines schönes Reißzeug aus Messing zugeschickt als Ersatz für das größere, das ihm beim Bombenangriff verloren gegangen war und zwar für den Fall, dass er noch einmal Gelegenheit erhalten sollte, technische Zeichnungen anzufertigen.

Am 9. Februar gab es bei ihnen eine aufregende Szene. An der Flurtür wurde heftig geklopft und als er aufmachen wollte, hinderte ihn sowohl Frau Bürger als auch Frau Henkel daran. Denn sie befürchteten, dass die Russen vor der Tür stünden. Glücklicherweise kam auch der Herr von der anderen Etage und ermutigte sie aufmachen, es wäre die Polizei. Ein russischer Polizist stürzte herein und wollte in ein jedes Zimmer eingelassen werden. Er suchte eine Frau, die einen Russen erschlagen hatte. Da die Untermieterin, die böse Frau Krakke, nicht da war, konnten sie das Zimmer nicht aufschließen. Der Mann glaubte Franz aber, dass sie keine Mörderin versteckten und suchte dann woanders weiter. Hätten sie nicht aufgemacht, so hätte der Russe sicher die Türfenster eingeschlagen. Man war gut beraten, der russischen Polizei  keinen Widerstand leisten.

Am 16. Februar zog Martel von Wedderstedt wieder zurück nach Dessau, um ihre Wohnung zu beziehen, die zwischenzeitlich von den Russen besetzt gewesen war. So sollten Helene und Franz die drei Kinder Bärbel, Monika und Sabine einstweilen aufnehmen, was sie auch getan haben. Am 18. Februar starb in Berlin die Freundin von Martha, seiner dritten Frau, an einem Magengeschwür. Er hatte sie, als Herr Macht noch lebte, mit Martha sehr oft  in Berlin-Charlottenburg besucht und dort immer schöne Stunden erlebt. Frau Elisabeth Macht ist auch nach dem Tod ihres Mannes mit Franz in Briefwechsel geblieben. Sie haben sich genau wie früher regelmäßig zu den Geburts- und Festtagen beglückwünscht.

Am 20. Februar schrieb Franz wieder mal an den Direktor der Pittler-Werke, um etwas über seine Pension zu erfahren, worauf am 26. Februar die Antwort kam, man müsse ihm leider mitteilen, dass die Pittler-Werke noch nicht mit der Fabrikation angefangen hätten und u.a. aus diesem Grunde die Auszahlung sämtlicher Renten gesperrt seien. Der Direktor gehe davon aus, dass Franz in der Zwischenzeit sicher seine Altersrente bekomme, sodass er wenigstens in diese Hinsicht über einige Geldmittel verfüge, die bei Pittler aus den bekannten Gründen nicht mehr vorhanden waren. Wann der Neuaufbau der Fertigung möglich sein werde, wäre leider nicht abzusehen, aber er hoffe doch, dass die Fortführung der Geschäfte ihnen wieder in die Hand gegeben werde. Mit dem Ausdruck seines persönlichen Bedauerns beschloss er den Brief.

Also war es mit Pittler endgültig vorbei und Franz könnte nicht darauf hoffen, noch einen Pfennig seiner Pension oder Rente zu bekommen, und so schrieb er am 1. März an das Fürsorgeamt der Stadt Leipzig über den Oberbürgermeister, um eine monatliche Beihilfe zu beantragen unter genauen Angaben der Verhältnisse seiner Sparguthaben bei der Sparkasse der Stadt Leipzig.

Am gleichen Tage nahm Herr Pollak Besitz von ihrem Zimmer, wobei Franz in das Schlafzimmer der Frau Bürger mit seinen Büchern umzog, die er in einen kleinen Damenschreibtisch der Frau Bürger unterbrachte, während Herr Pollak seinen großen Schreibtisch wie schon früher erhielt. Frau Bürger hatte sich  im großen vorderen Zimmer auf dem Chaiselogue ihr Nachtlager zurecht gemacht.

Am 4. März besuchte sie Meta, die Schwiegertochter der Frau Henkel, und brachte ihm verschiedene Bücher mit, die sie übrig hatte:

1. Ein französisch-deutsches Wörterbuch von L. Koch aus dem Jahre 1883 von Hachette aus Paris,

2. Der Band 6 des Buches der Erfindung der Erfindungen, Gewerbe und Industrien,

3. Die mechanische Bearbeitung der Rohstoffe, 8. Auflage von Professor F. Reuleaux mit vielen Bildern aus dem Werkzeugmaschinenbau aus dem Jahre 1887 mit Abbildungen von James Watt, Robert Fulton, Jackard und Arkwight,

4. Die Maschinenelemente, ihre Berechnung und Konstruktion von C. Bach, ein berühmtes technisches Buch aus dem Jahre 1901 in 2 Bänden: Text und Tafeln extra mit 57 Tafeln, Zeichnungen und 29 Tafeln, Tabellen,

5. Das Buch der berühmten Ingenieure von Richard Hennig von 1923 mit Abbildungen (Nobel, Bessemer, Fowler, Riggenbach, Intze, van Eyth, Wrigt, Diesel, Goethals, Marconi).

Da Martel erfahren hatte, dass Emil schon am 11. März 1945 in Posen im Lazarett gestorben war, entschloss sich Frau Henkel nach Dessau zu fahren, um Martel und die Kinder zu betreuen. So war Franz gezwungen, wenn er nicht nach Dessau wollte, wo er keine Zuzugsgenehmigung erhalten würde,  zu seiner Tochter Alice in die Ottostraße nach Lindenau zu ziehen. Frau Henkel wollte verschiedene Möbel und ein Bett nach Dessau transportieren lassen, was ihr auch später gelungen ist, da Frau Bürger ihr auch nur alte Möbel, die sie nicht haben wollte, hingeschickt hat, worüber sie sich sehr geärgert hat. Am 7. März [1946] telegraphierte Martel aus Dessau, dass sie sehr krank sei, sodass Frau Henkel sich entschloss, sofort nach Dessau zu fahren, nachdem sie von der Bahn die Genehmigung zum Fahren erhalten hatte.

Franz war also doch gezwungen, auszuziehen und nach Lindenau zu Alice zu fahren, wo er vorläufig bleiben wollte. Mit einem großen Koffer und seinen Anzügen, der Wäsche usw. und einem Bett fuhr er also mit Frau Henkel um 8.20 Uhr mit der elektrischen Straßenbahn nach Lindenau, wo Alice sie schon erwartete und seine wenigen Sachen abnahm. Mit dem Zuge 11.40 Uhr fuhr Frau Henkel dann schon weiter nach Dessau, um dort als Köchin und Kindermädchen ihre Tochter zu unterstützen.