Nun war er wieder allein mit Lotte und Alice und so dauerte es nicht allzu lange, vielleicht 3 bis 4 Monate, bis er sich entschloss, in der Wochenzeitschrift „Die Gartenlaube“ eine Heiratsanzeige aufzugeben, worauf er auch drei Angebote erhielt und zwar aus Kassel, Bremen und Berlin.
Vorher hatte er sich aber entschlossen, seine Ferien in Bayern zu verleben und die anderen Verwandten der Maria, die ihm nach deren Tode geschrieben hatten sie zu besuchen und so fuhr er zuerst über München nach Dachau zur Tante Hof, die ihn freundlich empfing ebenso wie der Onkel Hof. Auch Anna, die Schwester der Maria, die ein paar Jahre jünger war, war anwesend und freute sich ebenfalls ihn wiederzusehen. Es wurde sofort ausgemacht mit der Anna einen Ausflug nach dem Chiemsee zu unternehmen, wobei Anna die Führung übernehmen sollte. Franz fuhr also mit dem Mädel über München und von hier nach Rosenheim und Priem, von wo aus die Kleinbahn sie nach Stock brachte, wo sie in einem großen Gartenlokal frühstücken konnten. Dann fuhren sie mit dem Dampfer hinüber zur Herreninsel im Chiemsee, um das Schloss mit dem König Ludwig II-Museum zu besichtigen. Die Gartenfassade des Schlosses stellt eine ziemlich getreue Nachbildung der Architektur des entsprechenden Mittelpunktes der Gartenfront des Schlosses von Versailles dar. Abweichend von dem Vorbild ist der figürliche Schmuck, der in Anordnung und Darstellungen eigene Wege geht und den plastischen Stil seiner Entstehungszeit (1878) verkörpert. Durch eine Führung wurde ihnen das Schloss Herrenchiemsee gezeigt und so ging es durch das Mittelportal der Gartenfront durch die Vorhalle, das Vestibül, das Treppenhaus hinauf durch die verschiedenen Räume des Schlosses wie Paradezimmer, Hartschiersaal, erstes Vorzimmer, zweites Vorzimmer, Paradeschlafzimmer, Beratungszimmer und dann durch den Hauptraum des Schlosses, die große Spiegelgalerie von 98 Metern, als Nachbildung der Galerie des glaces in Versailles mit 17 riesigen Bogenfenstern, denen gegenüber entsprechende Spiegelflächen stehen. Vorhanden waren dreiunddreißig Deckenlüster und zwei Reihen riesiger Kandelaber, worauf insgesamt 2188 Kerzen gesteckt werden können (in Versailles nicht vorhanden). Zwischen den Kandelabern stehen Marmorstelen mit Imperatorbüsten wie Cäsar, Vitellius, Vespasian, Titus, Hadrian, Aelius Verus, Antonius Pius, Commodus. Dann ging es durch den Friedenssaal, den Kriegssaal, durch die Wohnräume von Ludwig II., so durch das Schlafzimmer des Königs, das Arbeitszimmer, den hellblauen Salon (Siegelkabinett), wo durch die Spiegel eine unendliche Folgen von Räumen vorgetäuscht werden. Dann ging es noch durch das Porzellankabinett, das Speisezimmer, die kleine Galerie mit Ecksalons und durch das südliche Treppenhaus und das Bad aus dem Schloss wieder heraus.
Es war jedenfalls eine sehr interessante Besichtigung durch die Abgüsse nach berühmten Antiken, die Marmorvasen mit Pfauenpaar, den Marmorhof, die dekorativen Gemälde, die Brunnen mit plastischen Gruppen, die Ölgemälde usw.
Sie gingen zurück zu den 900 Meter entfernten Bootsanlegeplatz und fuhren mit dem nächsten kleinen Dampfer zum Restaurant Stock zurück, um den Kaffee einzunehmen und ihre mitgebrachten Brote zu essen. Dann fuhren sie mit der Kleinbahn nach Prien zurück und von hier mit dem nächsten D-Zug über Rosenheim nach München, wo Anna übernachten wollte in einem bereits erwähnten Gasthaus. Ob dabei von der Tante etwas beabsichtigt war, könnte Franz nicht genau sagen, jedenfalls trennten sie sich, weil er gute Nacht anbot und fuhren erst am nächsten Tag nach Wolfratshausen, um die dortigen Verwandten der Maria zu besuchen. Tante und Onkel März waren recht freundlich zu ihm und der Sohn Josef fuhr mit ihm mit der Bahn ein Stück nach Süden, um dann zu Fuß nach dem Starberger See zu wandern. Die Geschwister Suse und Rose sowie die Stiefmutter hat er nicht besucht. Der Onkel März schien von der Klage wegen der Erbschaft nicht viel zu wissen. Am nächsten Tag fuhr er darauf zurück nach München, um das Deutsche Museum und nochmals die Tante Hof in Dachau zu besuchen. Nach einigen Tagen ging es dann nach Merseburg zurück.
Wie bereits erwähnt, gab er dann, da Anna März in Wolfratshausen seine Anfrage, ob sie Maria vertreten wollte, abgelehnt hatte, eine Heiratsanzeige in der „Gartenlaube“ auf, worauf sich zuerst die Dame aus Kassel meldete, dass sie, da sie in Leipzig zu tun hätte, persönlich nach Merseburg kommen würde, um die Angelegenheit zu besprechen, sie käme mit dem D-Zug um 10.45 in Merseburg an und wollte im Wartesaal II. Klasse auf Franz warten. Es war an einem Sonntag und er war pünktlich am Bahnhof. An einem Tisch saß eine Dame allein. Er stellte sich vor und stellte fest, dass es die Dame aus Kassel war. Er lud sie kurz darauf zum Mittagessen ein zu sich nach Hause, was sie vorerst ablehnte. Als er ihr aber sagte, dass seine Tochter das Mittagessen fertig gestellt hatte, kam sie mit. Gesprochen wurde nicht viel, und so gingen sie, da sie weiter wollte, wieder zum Bahnhof, von wo sie in Richtung Corbetha weiter fuhr. Auf seine Frage: wie nun? Erwiderte sie, dass sie sich noch nicht entschließen konnte.
Da am nächsten Tag schon der zweite Brief aus Bremen ankam, von Fräulein Martha Kuchenbecker, so hatte er gleich wieder eine Ablenkung und trat mit dieser Dame in Schriftwechsel. Es stellte sich heraus, dass die Dame mit ihrer Schwester zusammenwohnte in der Reinholdstraße und eine ältere Schwester Ella Mester in Grambke bei Bremen wohnte. Sie vertrug sich nicht besonders mit ihrer Schwester Änne, weshalb sie auch gerne heiraten wollte. Sie waren beide als Telefonistinnen am Fernsprechamt in Bremen angestellt. Durch das Korrespondieren lernten sie sich ganz gut kennen und so schlug Franz vor, sich einmal halbwegs, z.B. in Braunschweig am Bahnhof zu treffen. Wer zuerst eintrifft, wartet auf den nächsten eintreffenden Zug von Bremen oder von Magdeburg. Braunschweig liegt 187 km von Bremen und 181 km von Merseburg entfernt, sodass jeder ungefähr die gleiche Streckenlänge zu fahren hätte. Als er gegen 10 ½ Uhr in Braunschweig ankam, war Fräulein Kuchenbecker schon da und erwartete ihn auf dem Bahnhof. Durch die gesandten Photographien erkannten sie sich sofort und traten zusammen aus dem Bahnhof. Dann ging es durch den Bürgerpark rechts vom Bahnhof und durch die Stadt, um ein Hotel auszusuchen. Es wurden dort 2 Zimmer bestellt, dann zu Mittag gegessen und darauf ein Gang durch die innere Stadt unternommen, wobei sie am Theater vorbeikamen. Da am Abend die Oper Martha gegeben wurde, löste er 2 Plätze für den Abend. Leider war wohl ein Schauspieler krank geworden, sodass die Aufführung nicht stattfinden konnte und dafür das Schauspiel „Anna Berndt“ gegeben wurde, was ihnen nicht sonderlich gefallen hat. Während der Pause beim Spazieren im Foyer des Theaters gab er der Martha den Verlobungsring, den sie auch sofort annahm. Ins Hotel zurückgekehrt, ging nach dem Abendessen jeder für sich auf sein Zimmer, um am anderen Tag mit dem ersten Schnellzug nach Hause zurückzufahren, Franz nach Halle Merseburg und Martha nach Bremen zu ihrer Schwester, die sie nun bald verlassen sollte.
Sie trafen sich dann zuerst noch einmal in Berlin bei ihrer Freundin Elisabeth Macht, deren Mann Lehrer in Berlin Charlottenburg war und wohin Franz auch an einem Sonntag auf die Einladung der Martha hinfuhr. Beim Eintreffen des Zuges im Anhalter Bahnhof war sie auch am Bahnsteig, sodass er mit ihr zusammen mit der Straßenbahn gleich nach Charlottenburg fahren konnte. Von Herrn und Frau Macht wurde er sehr freundlich empfangen, denn Frau Macht war eine frühere Kollegin der Martha am Fernsprechamt in Berlin. Er konnte auch dort übernachten, nachdem er mit Martha einen Spaziergang durch Charlottenburg gemacht hatte. Da er auch zufällig mit Ingenieur Lenz zu tun hatte, der damals noch in Lankwitz wohnte, konnten sie 2 bis 3 Tage zusammen ausgehen. Damit sie nun auch seine Wohnung und die Kinder kennenlernte, lud er sie ein, nun auch einmal nach Merseburg zu kommen, was sie dann auch tat.
Sie kam also ein paar Wochen später in Merseburg an, um baldigst zurückzukehren nach Bremen. Kaum war sie aber bei ihnen, so brach die sogenannte Märzrevolution 1919 aus, bei der die Arbeiterschaft beabsichtigte, nach russischem Vorbild sich der staatlichen Gewalt zu bemächtigen. Auch bei Blancke wurde der Streik ausgerufen, sodass die Arbeit ruhte und auch Franz nicht ins Geschäft gehen konnte. Da die Arbeiter bewaffnet wurden, kam es auch zwischen Halle und Merseburg zum Kampf zwischen Regierungstruppen und den sogenannten Spartakisten, die jedoch durch die Truppen unter dem Reichskriegsminister Noske niedergeschlagen wurde. Da der Eisenbahnverkehr gesperrt war, konnte Martha aus Merseburg nicht heraus und war gezwungen, bei ihnen zu bleiben, bis die Zugverbindungen wieder hergestellt waren. Während dieser Zeit, wohl ca. 3 Wochen, konnten sie alle Tage spazieren gehen, wobei sie z.B. in der Gegend von Kollenbeg das Schießen der Truppen zu hören bekamen und vorsichtig weiter gehen mussten über die Wiesen der Merseburger Umgebung. Sie hatte also Gelegenheit, sich über seine Verhältnisse genau zu unterrichten und Lotte und Alice kennen zu lernen. Im Sommer 1919 wurde er dann von Martha nach Bremen eingeladen, damit er auch ihre Schwestern und ihren Schwager Emil Abester in Grumbke kennen lernen sollte. Er nahm also seine Ferien und fuhr nach Bremen, wo er zuerst vom Bahnhof, wo ihn Martha abholte, in die Reinholdstraße geführt wurde, wo sie mit ihrer Schwester Änne gemeinsam eine kleine Wohnung innehatte. Er konnte dort in dem einen Zimmer auf dem Chaiselongue schlafen, während die beiden Schwestern in ihren Zimmern schliefen. Am anderen Tage fuhren sie mit der Straßenbahn nach Grumbke, wo in Groblingen in die Bahn nach Lesum umgestiegen werden musste. Auch hier wurde er von Ella und Emil freundlich empfangen; sie bewohnten ein alleistehendes Häuschen in der Dwerhagenstraße und hatten eine Weinhandlung, sodass öfters eine Flasche Wein getrunken wurde. Das Keltern der Obstweine besorgte Emil selbst. Während der 10 Tage, die er dort war, wurden verschiedene Ausflüge unternommen, so z.B. nach Vegesack, Lesum, St. Magnus usw. Zwischen Bremen und Vegesack verkehrte ein Dampfer, den sie mehrere Male benutzt haben. Es wurde dann auch beschlossen, nach Köslin in Pommern zu der Stiefmutter von Martha zu fahren und zwar Martha von Bremen und Franz von Merseburg, um alles zu besprechen. Einige Wochen später fuhr er dann von Merseburg ab über Berlin und Stettin nach Köslin, wo er von Martha und der Stiefmutter, Frau Rechnungsrat Martha Kuchenbecker, freundlich empfangen wurde. Martha war am Bahnhof und führte ihn gleich in die Virchowstraße im Osten der Stadt. Am zweiten Tag fuhr er dann über Stettin und Berlin zurück nach Merseburg mit der Überzeugung, dass auch Frau Rechnungsrat Kuchenbecker mit der Heirat ihrer Stieftochter, sowie auch der Onkel und Rentier Johannes Bourdos einverstanden waren.
Da er seit dem Frühjahr 1920 aus den Niederlanden Lebensmittelpakete erhielt, die außer Bohnen auch Käse und andere Lebensmittel enthielten, so bat ihn Martha auch der Schwiegermutter noch vor der Hochzeit einige Pakete zukommen zu lassen, damit sie zur Hochzeit besser kochen kann, was er dann auch getan hat, denn inzwischen war die Lebensmittelversorgung in Merseburg auch besser geworden. Es war ihm sogar möglich geworden, einige holländische Pakete weiter zu verkaufen zu dem von ihm errechneten Preis von 20 bis 22 Mark. Besonders Herr Bruns, der Betriebsleiter hat von ihm mehrere Pakete erhalten. Da dieselben im Herbst 1920 aber teurer wurden als man die Sachen in Merseburg kaufen konnte, hörten dieselben von selbst auf.
Die Hochzeit wurde auf den 21. Mai 1920 festgesetzt und so fuhr er am Donnerstag, dem 20. Mai 1920, wieder nach Köslin, um mit Martha und den Zeugen Ella Mester aus Bremen und Johannes Bourdos aus Stettin am Freitag, dem 21. Mai 1920, vor dem Standesbeamten der Stadt Köslin zu erscheinen und auf Grund der standesamtlichen Ermächtigung des Standesamtes Merseburg vom 18. Mai 1920 die Ehe mit Martha Kuchenbecker zu schließen.
Nach diesem standesamtlichen Akt ging es zur Stadtkirche, wo sie nach evangelischem Ritus die kirchliche Feier vollzogen haben. Dann ging es nach Haus, wo das Mittagessen eingenommen wurde mit den geladenen Gästen aus Bremen und Stettin. Am Abend nach dem Abendbrot ging es ins Hotel, ich glaube „zum Kronprinz“, wo wir die erste Nacht erlebten. Am Sonnabend früh nach Einnahme des Kaffees fuhren sie mit der Eisenbahn nach Kolberg an die Ostsee, wo sie bei einer Freundin der Martha das Frühstück einnahmen, um dann nach einem Rundgang durch Stadt und Hafen nach Stettin zu fahren, wo sich die Töchter der Tante in Daber mit den 7 Kindern eingerichtet hatten. Da sämtliche Hotels durch die französischen Kommissionen usw. besetzt waren, sodass für die Deutschen kein Zimmer mehr frei war, mussten sie vorläufig bei einem der Mädels bleiben und fuhren erst am übernächsten Tag wieder fort, nachdem sie sich Stettin angesehen hatten. Da sie das Reisen satt hatten, hielten sie sich in Berlin nicht weiter auf, sondern entschlossen sich, gleich weiter nach Merseburg zu fahren und lieber zu Hause die paar Urlaubstage noch zu verleben, was sie dann auch taten.
Zu Hause war wie immer alles in Ordnung und sie wurden durch Lotte freundlich empfangen. Lotte entschloss sich aber diesmal eine Stellung bei dem Kaufmann Kötteritzsch in der Gotthardstraße anzunehmen, um den Schwierigkeiten im doppelten Haushalt aus dem Weg zu gehen. Jedenfalls waren ihre Erfahrungen beim Hantieren mit der Maria nicht immer die besten gewesen, trotzdem Franz nichts davon bemerkt hat. Die Sache ging also ganz gut, wenn nun auch nach der Münchener oder bayerischen Küche der Maria nun die pommersche Küche der Martha jetzt drankam, die ihm auch gut geschmeckt hat. Auch die Martha hat sich rasch in Merseburg eingewohnt und verkehrte gleich sehr gut mit Elsa Schäfrig, der Frau seines Freundes Schäfrig aus dem früheren Kegelclub, der nun aus dem Krieg zurückgekommen war und seine Freundin Elsa aus dem gleichen Dorf bei Riesa geheiratet hatte. Sie wohnten in der Gutenbergstraße im Westen der Stadt.
Während der Ferien im Jahre 1920 haben sie dann eine Fußtour durch die Dübener Heide unternommen. Mit der Eisenbahn zuerst bis Gräfenhainichen und von hier zu Fuß durch die schönen Wälder und die Heide bis Reinharz, wo sie unterwegs an der Hauptstraße von Wittenberg nach Düben zu Mittag gegessen haben und zwar sehr einfach, denn die Zeiten waren immer noch schlecht. In Reinharz fanden sie einen einfachen Gasthof zum Übernachten, ein kleines Zimmer mit zwei eisernen Feldbetten, wo sie, trotzdem die Betten sehr klein waren, unter den Decken gut geschlafen haben. Am anderen Tag ging es durch den Dübener Wald weiter nach Bad Schmiedeberg, wo sie gegen Mittag ankamen. Sehr besucht war das Bad nicht und machte auf Franz einen ziemlich verlassenen Eindruck. Sie hielten uns auch nicht lange auf, sondern fuhren am Nachmittag direkt nach Leipzig, und am nächsten Tag ging es dann über Corbetha zurück nach Merseburg, wo bei Blancke immer weiter mit Herrn Baurat Lenz an der Fabrikation der Hasut-Schlösser und mit Herrn Betriebsingenieur Bruns an der Umstellung der Armaturenfabrikation gearbeitet wurde. Die Aufregung zwischen Arbeitern und Fabrikleitung hatten sich inzwischen gelegt und es wurde wieder in normaler Weise gearbeitet.
Im Jahre 1921 wollte Martha wieder nach Bremen fahren, um Ella und Emil zu besuchen und so fuhr sie mit Alice vorneweg nach Bremen, während Franz später nachfuhr, da seine Ferien wegen der Vertretung des Betriebsleiters für den Betrieb nicht gleich angetreten werden konnte. Er fuhr auch bald nach und sie trafen sich in Grumbke bei Emil und Elsa, um dann bald darauf von Bremen nach Cuxhaven an die Nordsee an die Elbmündung zu fahren, wo sie ohne Mühe in einer Pension 2 Zimmer zum Wohnen finden konnten. Da Martha ziemlich abgespannt war und sich erst ausruhen wollte, gingen Alice und er auf der langen Deichstraße spazieren und hatten gerade den Blick nach Südosten gerichtet, als eine hohe Feuersäule zum Himmel stieg, worauf nach ein paar Minuten eine mächtige Detonation die Luft erschütterte. In der Nähe im Orte Groden war irgendein Munitionslager in die Luft geflogen. Da weitere Explosionen folgen konnten, liefen sie schnell zu der Pension, wo alles in großer Aufregung war. Es folgte aber weiter nichts und sie konnten abends zusammen zu der „alten Liebe“ gehen, dem Landungsplatz für die kleinen Dampfer. Nach 3 Tagen fuhren sie wieder zurück nach Bremen über Hamburg, wo sie außer der Stadt bei den St. Paulibrücken den im Jahre 1911 eröffneten Elbtunnel besichtigt haben. Mit dem Fahrstuhl fuhren sie 23 Meter tief hinunter und sind dann bis zum anderen Ende des Tunnels durch den mit Porzellanplatten ausgelegten Wänden, die mit originellen plastischen Darstellungen von allerlei Seetieren geziert sind, hindurchgegangen, um dann wieder umzukehren. Der Tunnel besteht aus zwei Rohren von 500 Metern Länge, von denen jedes in einer Richtung benutzt wird. In der Mitte eines jeden Rohres liegt die Fahrbahn und beiderseits schließen sich die 1,85 Meter breiten Fußwege an. Am Ende des einen Rohres sind sie dann umgekehrt und durch das andere Rohr wieder nach St. Pauli gegangen. Nach der Besichtigung der Binnen- und Außenalster sind sie auf letzterer mit der Fähre bis zum Lokal „Alster-Lust“ gefahren und nachdem sie sich hier eine Zeit ausgeruht hatten, ging es zum nicht weit entfernten Hauptbahnhof zurück, um mit dem nächsten Personenzug wieder nach Bremen zu Mesters zu gelangen. Einige Tage später ging es dann zurück mit der Bahn, um den Harz zu besuchen. Sie fuhren über Hannover nach Goslar am Harz, wo sie übernachteten und, nachdem sie die Stadt durchwandert sind, weiter fuhren bis Drei Annen-Hohne, wo sie sich ein paar Tage aufhalten wollten, um von hier aus unter Benutzung der Brocken-Bahn den höchsten Berg des Harzes zu besuchen, wo er allerdings schon im Jahre 1911 von Wippra aus mit dem Rade war. Sie sind dann auch, nachdem sie in der Gegend vom Hotel aus mehrere Spaziergänge gemacht hatten, in der Richtung nach Schierke und Elend mit der Brockenbahn hinaufgefahren und, nachdem sie sich im Brockenhaus ausgeruht und die verschiedenen Stellen wie Teufelskanzel, Hexenaltar usw. angesehen und Martha ein Andenken wie Hexenfiguren und Photographien gekauft hatte, mit der Bahn zurück nach Drei Annen-Hohne wieder hinab gefahren, um dann bald nach Merseburg zurück zu kehren. Die Hexenfiguren haben bis zur Vernichtung seiner Wohnung am 27.2.1945 in der Wohnstube gehangen und haben sie nicht gegen Luftangriffe der Amerikaner oder Engländer geschützt, denn es ging ihnen alles verloren mit den Hexenfiguren auf dem Besen. Etwas später sind sie dann noch einmal mit Sonntagskarte von Merseburg über Halle, Halberstadt im Harz gewesen und zwar bis Ilsenburg, von wo aus sie im Ilsental aufwärts gegangen sind bis zum sogenannten Ilsenstein, einem Felsen, der durch seine Eisenmassen magnetische Kräfte ausüben soll. Sie hatten zwar die Absicht zum Brocken zu steigen, da ein Weg vom Ilsenstein ab direkt zum Brockenhotel führte. Da es jedoch schon etwas spät geworden war und die Gegend ihnen sehr einsam vorkam, sahen sie davon ab und kehrten nach Ilsenburg zurück, um hier zu übernachten. Jedenfalls wurde es Martha etwas zu viel und so sind sie am Sonntag schon mit der Bahn nach Hause zurückgefahren.
Da Lotte ein Fahrrad besaß, dass er mit einem Rad für Herbert bei den Fahrradwerken „Deutschland“ in Einbeek für je ca. 60 Mark gekauft hatte, wollte Martha auch versuchen darauf zu fahren. Das Fahrradfahren auf der Naumburger Straße bis zum Gasthaus „Feldschlösschen“ ging verhältnismäßig schnell und so ließ er einmal ihren Arm los und dabei fuhr sie plötzlich die Straße hinab, ohne dass er sie zurückhalten konnte. Die Fahrt der sich senkenden Straße ging ziemlich schnell der Straße hinab, bis sie halbwegs umfiel mit dem Rade, glücklicherweise ohne Schaden zu nehmen. Mit dem Weiterlernen war es aber vorbei, denn sie war nicht mehr auf das Rad zu bringen. Danach wurden nur in der Umgebung von Merseburg Spaziergänge gemacht durch den Stadtpark nach Schkopau oder durch die südlichen schönen Anlagen am Gotthardsteich nach Kötschen zu oder an der Saale entlang in Richtung Dürrenberg, wonach sie sich immer wohler führte leider nicht für die Dauer.
Im Jahre 1921 wurde ihm von der Firma Blancke Handlungsvollmacht erteilt, zur Unterzeichnung aller den Betrieb betreffenden Postsachen, was später in seinem Zeugnis auch besonders erwähnt wurde.
Es war im Jahre 1921 wohl gewesen, wo sie seine Schwiegermutter Frau Rechnungsrat Martha Kuchenbecker in Merseburg besuchte und sich bei ihnen gut erholt hat, denn sie sind öfters mit ihr nach Halle an der Saale im modernen Theater gewesen und haben in Merseburg den Dom besucht und den Merseburger Raben bewundert, der bis zum Ende des Krieges in seinem Käfig gelebt hat. Jetzt nach dem Kriege war er durch einen anderen Raben ersetzt worden.
Übrigens hat er allen Bekannten und Verwandten die sie in Merseburg besuchten, den Merseburger Dom gezeigt, ebenso wie das Historische Museum in der Altenburg im früheren alten Kloster, wo die Erinnerungen an die Schlachten bei Lützen und Roßbach aufbewahrt wurden. Auch die Assyrerurkunden im Alten Kloster und die alten Gräber und Menschenknochen aus prähistorischen Zeiten waren sehr interessant zu sehen und wurden von ihm immer gezeigt, so z.B. hat er seinen Schwägern Bernhardt und Ernst Müller und den Mitgliedern der technischen Vereinigung aus Leipzig immer den Dom und das lehrreiche Museum gezeigt und erklärt. Auch später bis zum Jahre 1925 hat er es so gehalten. Jedenfalls ist seine Schwiegermutter sehr zufrieden wieder nach Köslin gefahren.
Leider wurde in diesem Jahre 1921 das Nervenleiden, das Martha sich wohl als Krankenschwester in Bethanien in Stettin zugezogen hatte sowie die Gichtknoten in den Fingern, die wohl von der Arbeit als Telephonistin in Berlin und Bremen entstanden waren, immer schlimmer, ohne dass ihr jemand helfen konnte, und so entschlossen sie sich auf Anraten von Bekannten, nach Halle zu einem Teedoktor zu gehen, der den Ruf hatte, die Gicht durch Einnehmen verschiedener Teesorten kurieren zu können, und sie hat die Kur gewissenhaft durchgeführt. Da jedoch keine Besserung eintrat, ließen sie sich überreden, einen Schäfer in der Nähe des Peterberges nördlich von Halle an der Saale zu besuchen, der ebenfalls den Ruf hatte, die Gicht heilen zu können. Er fuhr auch zu dem Mann hin, der trotzdem er weit nördlich von Halle wohnte, sehr besucht wurde, denn wo er hinkam, musste er ca. eine Stunde warten, bis er ins Sprechzimmer vorgelassen wurde. Endlich konnte er die Flasche mit dem Urin aushändigen, den er auch sofort untersuchte und Franz dann eine große Tüte mit Teeblättern seiner Zusammenstellung für 2 Mark übergab. Scheinbar hat der Tee etwas geholfen, aber mit den Nerven wurde es nicht besser, und so entschlossen sie sich ebenfalls auf Anraten von Bekannten zu einem Arzt der Thelepathie in Halle an der Saale zu gehen, der durch Suggestion Heilung bringen sollte. Sie wurde durch den Arzt in einen schlafähnlichen Zustand gesetzt und blieb so von 11 Uhr vormittags bis 4 Uhr nachmittags auf der Couch liegen, um dann unter der Wirkung der hypnotischen Kraft des Doktors ganz allein nach Hause mit der Elektrischen zurückzufahren. Nach den ersten Malen hat sie sich wohl auf der Elektrischen übergeben müssen, aber glücklicherweise, da sie auf den Vorderperron des Wagens stand, ohne vieles zu beschmutzen. Dann hat auch das nachgelassen und sie ist stets ohne Unfall gut nach Hause gekommen. Ob die Kur, die mindestens 3 bis 5 Monate gedauert hat, viel genützt hat, war nicht klar.
Wegen der Gicht in den Fingern wurde ihnen das Bad Salzschlief bei Fulda sowie Bad Steben im Frankenwald empfohlen. Bad Steben wegen der Moorbäder und Bad Salzschlief wegen Gicht. Sie nahmen also zuerst eine Sonntagskarte nach Lichtenberg an der bayerischen Grenze und gingen dann zu Fuß durch das sogenannte Höllental am Schlitzfluss entlang bis zum Bahnhof Marxgrün, von wo aus sie mit der Bahn nach dem 581 Meter hoch gelegenen Stahlbad Steben hinauffuhren. Da der Ort ziemlich kahl lag, gefiel er ihnen gar nicht und da sie zu der Jahreszeit kein Zimmer bekamen, es war alles überfüllt, so hielten sie sich nicht lange auf, blieben nur eine Nacht bei einer älteren Dame, die noch für den Tag ein Zimmer frei hatte und gingen am anderen Tag, nachdem wir uns das Kurhaus angesehen hatten, zu Fuß hinab nach Lobenstein, von wo aus sie über Ziegenrück, Triptis, Gera und Zeitz nach Merseburg zurückkehrten, wo sie schon am Sonntagabend wieder eintrafen. Den Urlaub 1922 benutzte Franz dazu, mit Martha zuerst bis Eisenach mit der Eisenbahn zu fahren und von hier, nachdem sie die Wartburgstadt besichtigt hatten, durch das Mariental und die Drachenschlucht und weiter durch das Annental zur Hohen Sonne zu laufen, wo sie leider kein Nachtquartier bekamen, da alle Zimmer im Gasthaus besetzt waren. Es blieb ihnen nichts weiter übrig als nach Einnahme des Abendbrotes nach dem weiter westlich liegenden Ortes Ankerode zu laufen, wo sie gegen 8 Uhr abends nach langer Waldwanderung ankamen und ein Zimmer für die Nacht erhalten konnten. Zum Abendessen gab es gute Spiegeleier mit Schinken, die ihnen nach dem langen Marsch sehr gut geschmeckt haben. Am anderen Morgen gingen sie nach dem nahe liegenden Bahnhof Eppichnellen, wo sie eine Fahrkarte nach Bad Salzungen nahmen, das mit seinen alten Sol- und Moorbädern schon seit der Römerzeit bekannt ist. Die Moorbäder sollten zur Vertreibung der Gicht sehr gut sein. Der Ort gefiel ihnen aber nicht, er sah etwas vernachlässigt aus, sodass sie sich nicht sehr lange aufhielten und sich entschlossen, wie bereits vor der Reise angenommen weiter zu gehen und über Fulda nach Bad Salzschlief zu fahren, wo sie bessere Erfolge erwarten durften. Sie verließen also Bad Salzungen und gingen den sichtbaren Rhönbergen entgegen und dann über die erste Bergkette, die 200 Meter höher lagen durch Land und Waldungen bis Lengsfeld, wo wir wieder die Bahn bestiegen bis Kalten Nordheim, die Endstation der Kleinbahn. Hier wurde wieder marschiert über eine zweite Bergkette, die bis 250 Meter höher lag also bis 700 Meter über dem Meeresspiegel und so gelangten sie über den Pinzlar und den Friedrichshof (700 Meter) nach Tann. Jedenfalls haben sie dort gut übernachtet, um am nächsten Morgen über Milseburg nach Fulda und von hier durch Umsteigen nach Bad Salzschlief weiter zu fahren.
Hier angekommen, ging es gleich auf die Suche nach einer Unterkunft für 2 bis 3 Wochen. Sie fanden auch ein schönes Zimmer mit 2 Betten und Frühstück und Martha ließ sich gleich von einem Baddoktor untersuchen. Die Kur ging also gleich los, alle Tage zum Brunnen und viel spazieren gehen. Hierbei mussten sie sehr aufpassen, denn durch die Kur schienen die Kurgäste alle den Durchfall zu haben. Die Felder waren gut gedüngt. Franz blieb 8 Tage und fuhr dann nach Hause zurück, um am nächsten Sonnabend wieder zu kommen. Nach der dritten Woche holte er sie dann zurück und die Kur schien doch etwas geschafft zu haben. In Merseburg konnten sie wieder mit Schäfrigs und anderen Bekannten verkehren. Nur mit Klettes kam er nicht mehr zusammen. Anscheinend hat Frau Klette seine zweite und gar seine dritte Heirat übelgenommen, denn sie war doch eine sehr gute Freundin seiner ersten Frau Elsa gewesen. Dagegen hat von Elsas Verwandten in Gohlis und Engelsdorf niemand seine Wiederverheiratung übel genommen, sie verkehrten mit ihnen genauso weiter wie früher, ohne ein Wort über meine Wiederverheiratung zu verlieren.
Im Jahre 1922 im Herbste bekam Martha auf einmal Sehnsucht nach Köslin, also nach der Schwiegermutter, obwohl sie auf die Mutter bisher nicht immer gut zu sprechen war. Den Haushalt konnte Lotte noch nebenbei besorgen und so ließ Franz sie gehen, damit sie sich erholen könnte. Nach 14 Tagen kam sie zurück mit einer tüchtigen Erkältung. Wie sie erzählte, wäre sie ohne Mantel nach Mölln an die Ostsee gefahren und hatte sich ohne Mantel auf die Veranda des Hotels gesetzt, wobei sie sich wohl erkältet haben mag. Es hätte ihr niemand gesagt, den Mantel mitzunehmen und Franz sei doch nicht mit gewesen. So unselbständig war sie. Die Sache wurde aber immer schlimmer. Aus der Erkältung entwickelte sich eine Rippenfellentzündung, die immer schlimmer wurde. Auch das Fieber fing an, immer mehr zu steigen und sie lag ganz apathisch auf der Chaiselongue und zwar, dass Dr. Wolf, der sie in Behandlung hatte, nicht mehr wusste, was er verordnen sollte. Zuletzt ließ er nach seiner Genehmigung noch einen zweiten jüngeren Arzt holen, um gemeinsam eine Blutprobe zu entnehmen. Jedenfalls hat auch das nicht genützt und am 1. November 1922 früh gegen 5 ½ Uhr hörte auch bei Martha das Leben auf im Beisein der Familie. Franz konnte es nicht unterlassen, dem Doktor Vorwürfe zu machen, dass er es nicht verstanden hatte, seine Frau von ihrem Leiden zu befreien, aber was half es jetzt, hatte er nun die dritte Frau in Merseburg verloren. Die standesamtlichen Meldungen und Erledigungen hat dann Lotte besorgt, denn Franz war zu nichts mehr zu gebrauchen. Dass zu der Beerdigung die Verwandten aus Bremen und die Mutter aus Köslin anwesend waren sowie die Verwandten aus Leipzig, braucht wohl nicht erst erwähnt zu werden.